Berliner Wohnungsnot

150.000 Studenten konkurrieren um 9456 Wohnheimplätze

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Andreas Abel und Nele Malin Obermüller

Foto: Amin Akhtar

In Berlin ist der Wohnraum knapp. Das bekommen besonders Studenten zu spüren. Doch die Plätze in den Wohnheimen reichen bei Weitem nicht. Viele müssen pendeln, weil sie keine bezahlbare Bleibe finden.

Eine Ausweitung des Wohnungsangebots ist dringend nötig: In Berlin werden rund 150.000 Studenten an staatlichen Hochschulen ausgebildet. Für sie stehen jedoch nur 9456 Wohnplätze zur Verfügung.

Das Studentenwerk kann mit seinen 35 Wohnheimen aber nur einen Versorgungsgrad von 6,3 Prozent leisten, das ist der zweitschlechteste Wert in Deutschland. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 10,1 Prozent. Um den zu erreichen, müssten in Berlin 5000 neue Plätze in Studentenwohnheimen geschaffen werden.

Das hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auch bereits im April nach einem Spitzengespräch mit Studentenwerk-Chefin Petra Mai-Hartung versprochen. Die Standorte sollten möglichst in Hochschulnähe liegen.

Lange Wartelisten

Wie groß die Wohnungsnot unter Studenten ist, zeigt das Beispiel von Antonio Leonhardt. Der Jurastudent im ersten Semester steht mehrmals die Woche um 4.30 Uhr auf, obwohl sein Unterricht an der Humboldt-Universität erst um acht Uhr beginnt.

Er muss pendeln, drei bis vier Stunden jeden Wochentag, von Pätz in Brandenburg – wo er mit seinen Eltern wohnt – nach Berlin. Dort sucht er seit Monaten eine Wohnung, konnte aber bislang keine finden. „Ich habe in allen Bezirken gesucht. Aber alles war entweder zu teuer oder die Uni von dort aus nur sehr schlecht erreichbar“, erzählt der 19-Jährige.

Betroffen seien vor allem ausländische Studenten, bei denen die Nachfrage nach einem Wohnheimplatz mindestens doppelt so hoch ist wie bei deutschen, sagt Ricarda Heubach, Abteilungsleiterin für Studentisches Wohnen beim Berliner Studentenwerk. Zurzeit stehen rund 1470 Studenten auf Wartelisten des Studentenwerkes. Antonio Leonhardt hat sich gar nicht erst auf eine Liste setzen lassen. Da habe man keine Chance, meint er, obwohl er gerne in einer solchen Einrichtung wohnen würde. Die Wartezeit beträgt laut Studentenwerk, je nach Attraktivität des Wohnheims, zwischen zwei Monaten und zwei Jahren.

Das Land Berlin bietet 26 Grundstücke an

Das Land Berlin habe dem Studentenwerk 26 Grundstücke angeboten, von denen fünf derzeit in die engere Wahl für den Bau neuer Wohnheime genommen würden, sagte Bildungssenatorin Scheeres im Abgeordnetenhaus. Auf diesen Grundstücken des Liegenschaftsfonds könnten Wohnheime mit maximal 500 Plätzen neu gebaut werden, erläuterte Ricarda Heubach.

Nach Auskunft der Senatswissenschaftsverwaltung liegen zwei der Areale in Wedding, im Umfeld des U-Bahnhofs Amrumer Straße. In diesem Bereich befindet sich auch das Virchow-Klinikum der Charité. Zwei weitere Grundstück werden in Reinickendorf, am S-Bahnhof Schönholz, sowie am Volkspark Weißensee geprüft. Das fünfte Angebot des Liegenschaftsfonds liegt im Südwesten Berlins, am Steglitzer Damm.

Das sechste Grundstück, das das Studentenwerk für einen möglichen Neubau unter die Lupe nimmt, gehört dem Bund und ist am Theodor-Heuss-Platz in Charlottenburg. Dort betreibt das Studentenwerk das Internationale Studienzentrum Berlin (ISB) und verhandelt mit der Eigentümerin, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), über eine Bebauung des dortigen Parkplatzes. So könnten 50 Wohnplätze entstehen.

Schneller als die Planung und Errichtung von Neubauten könnte der Umbau bereits bestehender Immobilien zu Wohnheimen gehen. Dazu prüft das Studentenwerk zwei Gebäudekomplexe in Prenzlauer Berg und Lichtenberg, beide jeweils zentral an der Bezirksgrenze zu Friedrichshain gelegen.

Ein Gebäude befindet sich an der Conrad-Blenkle-Straße und wird von der landeseigenen Berliner Immobilien Management (BIM) bewirtschaftet. In dem ehemaligen Internat seien etwa 120 Plätze möglich, sagte Heubach, dazu weitere 120 Plätze für Flüchtlinge, die dann das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verwalten würde.

Beim zweiten Gebäude handelt es sich um ein ehemals von der Hochschule für Technik und Wirtschaft genutztes Haus nahe dem S-Bahnhof Ostkreuz. Hier gebe es zwar laut Studentenwerk Auflagen des Denkmalschutzes und Unklarheiten, wie lange der bisherige Pachtvertrag mit dem Deutschen Jugendherbergswerk noch läuft. Dennoch sei man an dem Objekt sehr interessiert, möglicherweise könnten dort mehr als 200 Plätze geschaffen werden.

Das Studentenwerk darf noch keine Kredite aufnehmen

Warum so viele der vom Liegenschaftsfonds angebotenen Grundstücke dann doch nicht infrage kamen, erklärte Ricarda Heubach vor allem mit der Lage. Grundstücke etwa in Marzahn-Hellersdorf, schlecht an U- oder S-Bahn angebunden und weit entfernt von FU, TU und HU, machten für Studentenwohnungen keinen Sinn. Das Studentenwerk habe 3000 Wohnheimplätze im Osten Berlins, damit sei der Bedarf dort abgedeckt.

Thorsten Metter, Sprecher der Senatswissenschaftsverwaltung, nannte zu hohe Umbaukosten oder konkurrierende Nutzungspläne als weitere Gründe für Entscheidungen gegen einzelne Objekte. Die Senatsverwaltungen für Wissenschaft und Stadtentwicklung halten bei Umbauten einen Baubeginn im kommenden Jahr für möglich, bei Neubauten müsse man von einem Start 2015 ausgehen.

Mit ähnlichen Zeiträumen rechnet auch Ricarda Heubach, bei Neubauten sei ein europaweit ausgeschriebener Wettbewerb vorgeschrieben. Thorsten Metter betonte, Baukörperplanungen und Kostenschätzungen für Umbauprojekte würden bereits bearbeitet. „Wir wollen die Fertigstellung so schnell wie möglich“, sagte er.

Das Studentenwerk muss allerdings vor Baubeginn noch eine weitere Hürde nehmen: Bislang gestattet es ihm der Senat nicht, Kredite aufzunehmen. Das Werk ist eine Anstalt öffentlichen Rechts und handelt im Auftrag des Landes Berlin.

Kredite, so Heubach, seien aber notwendig, die Rücklagen reichten dafür nicht aus. Der Senat muss nach geltender Rechtslage dem Studentenwerk landeseigene Immobilien und Grundstücke miet- und pachtfrei zur Verfügung stellen. Daher seien die Baumaßnahmen über die Mieteinnahmen auch refinanzierbar, sagte Heubach.

Protest vor dem Rathaus

Das Bündnis „Studis gegen hohe Mieten“ will die Misere nicht länger hinnehmen. In der vergangenen Woche organisierte es – unterstützt unter anderem von den Studentenausschüssen der Universitäten und Fachhochschulen, dem Studentenwerk sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) – zwei Aktionen.

Am Donnerstag liefen nach Schätzungen des Bündnisses circa 500 Studierende in einem Demonstrationszug vom Breitscheidplatz zur Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Fehrbelliner Platz. Am Freitag legten sich knapp 100 Studenten vor das Rote Rathaus zu einer Sleep-in-Aktion und stellten so die Wohnungsnot symbolisch dar. Die Aktionen waren Teil einer bundesweiten Protestwoche vom 4. bis 8. November in 15 Städten.

Allein 2012 sind die Mieten in der Stadt um zwölf Prozent gestiegen. „Mittlerweile findet man als Student selbst in den Randbezirken kaum noch etwas unter 300 Euro pro Monat“, sagte Max Manzey, Mitinitiator von „Studis gegen hohe Mieten“. Die Bafög-Pauschale für eine Wohnung liege aber bei 224 Euro – unverändert seit 2010, kritisierte der 25-jährige Geografie-Student.

Wegen der allgemeinen Wohnungsnot fordert das Bündnis unter anderem eine Mietbremse bei Altverträgen, keine Mieterhöhung bei Neuvermietung, eine Rekommunalisierung von ehemals städtischen Wohnungen und mehr Studentenwohnheimplätze.

Antonio Leonhardt hat bei beiden Aktionen mitgemacht. Er hofft, dass die Aktionswoche einen nachhaltigen Effekt auf die Politik haben wird. Inzwischen hat er einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) beantragt, der vor einer Woche bewilligt wurde. Nun hofft er, im Dezember in eine Wohnung in Friedrichsfelde ziehen zu können. „Eine feste Zusage habe ich noch nicht, aber es sieht gut aus“, sagt er. Dann müsste er endlich nicht mehr um 4.30 Uhr aufstehen.