Obdachlose in Berlin haben mehr gesundheitliche Probleme als früher. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa und haben keinen Anspruch auf medizinische Behandlung. Auch die Helfer stoßen an Grenzen.
Die Verelendung von Obdachlosen in Berlin nimmt nach Einschätzung von Sozialverbänden zu. Der Gesundheitszustand von Menschen auf der Straße habe sich im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verschlechtert, sagte Hans-Joachim Fuchs vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) am Donnerstag in Berlin. Viele Obdachlose kämen aus Osteuropa, hätten aber auch als EU-Bürger bisher keinen Anspruch auf Krankenversorgung. Das mache Behandlungen außerhalb von Praxen für Wohnungslose oft schwierig, besonders in Krankenhäusern.
Am 1. November startet die Berliner Kältehilfe. 16 Notübernachtungen und 13 Nachtcafés bieten dann im Durchschnitt 433 Schlafplätze pro Nacht. Die Zahl der Obdachlosen wird in der Hauptstadt auf 600 bis 1000 geschätzt. Eine Statistik gibt es nicht.
„Läuse, Krätze, Schleppe, das kannte ich gar nicht“, sagt Eva Gummlich. Bis vor kurzen hat sie als Betriebsärztin gearbeitet, seit ihrem Ruhestand hilft sie ehrenamtlich in der Caritas-Praxis für Wohnungslose am Bahnhof Zoo. Das hat ihren Blick auf die Hauptstadt verändert. Zu Gummlich kommen nun Menschen mit Hepatitis B und C, mit HIV, offener Tuberkulose und mit hochansteckenden Hautkrankheiten – Schleppe genannt.
Erfrorene Zehen, von Läusen zerbissene Haut
Viele Patienten sind ungewaschen, und ihre Haut ist von Läusen zerbissen. Fast immer gibt es Suchtprobleme, bei Alkohol reicht es bis zu Leberversagen. Vor der Tür stehen Menschen in nassen Socken, im Winter sind manche Zehen erfroren. „Man kommt an Grenzen“, bekennt die Ärztin. Und neben Verbandsmaterial und Antibiotika hat sie noch ein Hilfsmittel. Es ist das „Taschenbuch für Ärzte in 16 Fremdsprechen“ – Polnisch, Tschechisch, Rumänisch – alles drin.
60 Prozent von Eva Gummlichs Patienten stammen inzwischen aus dem Ausland. Viele davon aus EU-Ländern, doch wenn sie ins Krankenhaus müssen, wird es schwierig. Wer trägt die Kosten? Meist seien es die Kliniken selbst, sagt Ulrike Kostka, Direktorin der Berliner Caritasverbandes. Sie fordert vom Senat einen rechtlichen Rahmen für die medizinische Versorgung obdachloser EU-Bürger – und sei es zusammen mit dem Bund.
Kältebusse, Arztmobile und Obdachlosenpraxen in Berlin
Berlin hat seit 1889 ein geregeltes System, wenn es um Hilfe für Obdachlose geht – besonders im Winter. Kirchliche und soziale Träger und viele ehrenamtliche Helfer haben sich dafür zusammengeschlossen. Es gibt Kältebusse, Arztmobile und Obdachlosenpraxen. Dort fragen Schwestern und Ärzte nicht nach einer Krankenversicherung und auch nicht danach, ob ein Mensch „wartezimmerfähig“ ist – also nicht stinkt oder trinkt.
Über die Bezirke gibt es Finanzspritzen vom Land. Ein bewilligter Schlafplatz werde zum Beispiel mit 15 Euro pro Person und Nacht erstattet, erläutern Experten der Berliner Stadtmission. 60 solcher Plätze gibt es in ihrer Notübernachtung in der Lehrter Straße nahe dem Hauptbahnhof. Kommen 120 Gäste, muss die Stadtmission in der Spendentopf greifen. Das ist die Regel – und nicht nur dort.
Ob die 433 Schlafplätze in diesem Winter ausreichen, ist noch unklar. Es sind elf Plätze mehr als im vergangenen Jahr. „Es gibt aber deutlichen Zuwachs beim Bedarf“, sagt Hans-Joachim Fuchs vom DRK. Denn Berlin ist eine „Transferstadt“. Wer aus Osteuropa kommt, aus Staaten mit dünnem sozialen Netz, strandet hier oft zuerst.
dpa/alu