Personalmangel

Berlins Friseure werden vom Nachwuchs geschnitten

| Lesedauer: 10 Minuten
Von Jennifer Hinz

Foto: Reto Klar

Ob Traditionssalon oder Luxusfriseur: Berlins Haarexperten klagen über Personalsorgen. Wer jemanden finden möchte, benötigt vor allem eines: Geduld. Am Image der Branche kann das nicht liegen.

Auf einem kleinen Zettel im Schaufenster lasten alle Hoffnungen: „Mitarbeiter gesucht!“ Die Notiz soll den Nachwuchs und die arbeitserfahrene Verstärkung anlocken; beides braucht die Berliner Friseurbranche dringend.

Vom Luxusfriseur bis zum kleinen Zwei-Mann-Betrieb haben in Sachen Personalsuche alle die gleichen Schwierigkeiten, wenn auch nicht immer aus den gleichen Gründen. Wer jemanden finden möchte, der wirklich etwas vom Umgang mit Haar versteht, der braucht vor allem eins: Geduld. Häufig über Jahre.

Und manche scheitern: Caroline Weber beispielsweise hat die Personalsuche für ihren gleichnamigen Salon in Berlin Tegel aufgegeben. Sie ist seit 18 Jahren selbstständig. Ihre letzte Auszubildende lernte vor zwei Jahren aus. „Wenn wir diese zwei Jahre nehmen und die drei Jahre Ausbildung, hat sich unterm Strich in fünf Jahren niemand Qualifiziertes beworben.“

Dabei war das Image er Branche schon deutlich schlechter. Eigentlich sind die Jahre lange gezählt, in denen speziell Friseurinnen mit dem Klischee der Manta-Beifahrerin zu kämpfen hatten. Die Meisterin Caroline Weber beweist ihren Sinn für Ästhetik bereits bei der Einrichtung ihres Salons. Sonnengelbe Wände kontrastieren mit dunklem Nussbaumparkett und treffen auf verschnörkelte Details wie das kleine Jugendstilsofa am Eingang. Es ist ein Andenken aus jener geschäftigen Zeit, in der Kunden noch einen Moment Platz nehmen mussten, bevor Caroline Weber sich ihnen widmen konnte.

Das große Abwerben

Eine neue Unart des hart umkämpften Friseurmarkts hat sie nicht nur um ihre Mitarbeiter, sondern auch einen Großteil ihres Kundenstamms gebracht. Das vermutet Caroline Weber zumindest, denn nachweisen lässt sich das sogenannte Abwerben kaum. „Diese Leute gehen in bestehende Geschäfte, die ihren eigenen Vorstellungen von Ausbildung und Handwerk ähneln und sprechen die Mitarbeiter ganz direkt an, wenn der Inhaber nicht da ist.“ Nicht selten sitze die Konkurrenz sogar direkt in der Nähe.

Auch das gehöre zum Konzept: „Man interessiert sich ja nicht nur für den Mitarbeiter, sondern für das gesamte Paket: Stylisten und ihre Stammkunden.“ Anders kann sich Caroline Weber nicht erklären, warum ihre Mitarbeiter von heute auf morgen zeitgleich kündigen. Bestätigung für ihren Verdacht findet sie, wenn treue Kunden ihr von den direkten Abwerbungsversuchen der Konkurrenz erzählen.

Der Existenzdruck, der besonders auf kleinen Betriebe lastet, ist hoch. das bestätigen auch Jan Kopatz und Markus Feix von der Berliner Friseurinnung. Während die Zahl der Salons in Berlin auf etwa 3000 angestiegen ist, gehen Frauen nur noch jeden zweiten Monat zum Friseur anstatt alle vier bis fünf Wochen, wie es vor zehn Jahren üblich war.

Ganz allein kann Caroline Weber den laufenden Betrieb dennoch nicht bewältigen. Auszubildende könnten die Lösung sein. Doch geburtenschwache Jahrgänge sorgen branchenübergreifend für Nachwuchsmangel. Die Friseurinnung empfiehlt den Friseuren daher, selbst aktiv zu werden: „Betriebe, die Nachwuchs und Mitarbeiter suchen, müssen sich von der Konkurrenz abheben, sei es durch ein gutes Betriebsklima, Fortbildungen oder die Bezahlung. Anders als früher müssen sich die Unternehmen nun stärker vermarkten.“

Warum viele Bewerber scheitern

International angesiedelte Friseure wie das Franchiseunternehmen mod’s hair profitieren da von ihrem guten Ruf. Soziologin Diana Riedel ist in Berlin für die Personalführung der beiden preisgünstigen mod’s hair Basic Salons und der Edelvariante mod’s hair Paris zuständig. Etwa 200 Bewerbungen von potenziellen Lehrlingen und Stylisten landen jährlich auf ihrem Tisch.

Aus dem Vollen schöpfen, könne sie trotzdem nicht. „Im vergangenen Jahr habe ich 100 Bewerbungen auf eine Lehrstelle bei uns erhalten. Eingestellt habe ich letztlich nur vier Kandidaten.“ Unvollständige Dokumente, lose Blattsammlungen oder ein Hauptschulabschluss mit einer miesen Durchschnittsnote schlössen einen Großteil der Bewerber für die Einladung zum Vorstellungsgespräch aus.

Wie auch Caroline Weber sieht Diana Riedel ein Problem in einer Gesellschaft, in der jeder nach dem Abitur strebe. Auch wenn danach nicht zwangsläufig ein Studium in der Lebensplanung steht, eine Karriere im Handwerk sei nur selten die erste Wahl. Der Friseurberuf werde häufig zum Plan B, dessen Herausforderungen viele Bewerber unterschätzen. Arbeitstage, die vor allem im Stehen stattfinden und stetiger Kundenkontakt lassen sich nicht mit Links meistern. Diana Riedel brach daher auch schon Bewerbungsgespräche nach kurzer Zeit ab.

Grundvoraussetzungen als Stolpersteine

Überzeugen können Bewerber dagegen mit Leidenschaft für den Beruf. „Wenn jemand generell Freude daran hat, Freunde und Verwandte zu frisieren oder Techniken für Hochsteckfrisuren im Internet zu recherchieren, zeugt das von Interesse. Diese Bewerber sind mir sehr willkommen.“ Pünktlichkeit, Manieren und Vorbereitung auf den Arbeitgeber in spe werden als Standards vorausgesetzt. Doch diese Tugenden sind keinesfalls selbstverständlich: Aus der Erfahrung von Caroline Weber und Diana Riedel entpuppen sich häufig genau diese Grundvoraussetzungen als Stolpersteine für die jungen Erwachsenen.

Auch optisch muss die Chemie stimmen. Das Äußere der Mitarbeiter ist zugleich das Aushängeschild des Salons und der erste Hinweis darauf, was Kunden für ihre eigenen Haare erhoffen dürfen (oder befürchten müssen). Während bunte Haare für Diana Riedel ein Ausschlusskriterium sind, können Tattoos und Piercings durchaus reizvoll sein, solange sie stilvoll in Szene gesetzt sind. Was ansprechend wirkt und was nicht, ist subjektiv und auf das Ambiente des jeweiligen Ladens zugeschnitten.

Im Bereich der Luxusfriseure wird die Symbiose aus Salon, Stylist und Qualitätsarbeit auf die Spitze getrieben. Shan Rahimkhan verkauft jenes Komplettpaket seit acht Jahren in seinen beiden Filialen am Gendarmenmarkt und dem Kurfürstendamm. Allein die Inneneinrichtung am Standort Kurfürstendamm verheißt puren Luxus. Ein Meer aus Glühbirnen an der Decke hüllt große, ovale Spiegel und das schwarze Mobiliar auf matt grauem Boden in warmes Licht. Unzählige Mitarbeiterhände fahren gleichzeitig durch Kundenhaare, begutachten, werten aus, schneiden oder färben anschließend.

Shan Rahimkhan mangelt es weder an zahlungskräftigen Kunden noch an potenziellen Arbeitskräften. Jede Woche erhält er vier bis fünf Bewerbungen, darunter auch einige aus dem Ausland. „Wir suchen permanent gute Leute. Das Problem ist, wirklich gut ausgebildete Topleute zu bekommen.“ Zu häufig würde es bei ausgebildeten Stylisten bereits an den Kernkompetenzen mangeln. Wer nicht richtig föhnen oder einen Pagenkopf, aber keinen stufigen Bob schneiden könne, habe keine Chance auf einen der begehrten Arbeitsverträge. „Bei 60 bis 70 Prozent der fertigen Auszubildenden würde ich keine 80 Euro für einen Haarschnitt zahlen.“

Was zählt, ist die Praxiserfahrung

Das Unvermögen vieler Stylisten schließt der Geschäftsführer auf das Ausbildungskonzept in Deutschland zurück. „Drei Jahre Ausbildung sind eher ein Klotz, als eine Hilfe. Wer es nach zwei Jahren immer noch nicht drauf hat, sollte seine Lebenszeit nicht mit einem weiteren Jahr in der Friseurausbildung vergeuden.“ Shan Rahimkhan klopft das technische Fachwissen genau ab und bringt Bewerber mit Detailfragen über Haarstrukturen, Kopfformen und Wirbel häufig in Erklärungsnot. Bei der Berliner Friseurinnung kennt man das Problem. Auch wenn die Theorieblocks zum festen Bestandteil der Ausbildungsordnung gehören, seien zusätzlich die Betriebe gefragt. Hängen bleibt, was der Auszubildende selbst ausprobieren kann. Praxiserfahrung, darin sind sich die Innung und der Luxusfriseur einig, wird für die Ausbildung zum Qualitätsmerkmal.

Shan Rahimkhan hat heute frei. Im dunkelblauen T-Shirt, Blue-Jeans und Flip Flops plaudert er ungezwungen über das Dasein als Friseur. Kommunikationsfähigkeit gehört neben einer ausgeprägten Menschenkenntnis zu den wichtigsten Soft-Skills seines Jobs. „Aus einer Studie weiß ich, 80 Prozent aller Reklamationen beruhen darauf, dass sich der Kunde missverstanden fühlt.“ Neulingen spendiert er daher falls nötig ein Kommunikationstraining. Bei durchschnittlich 80 Euro für einen Damenhaarschnitt und 60 Euro für einen Herrenhaarschnitt, kann er sich unzufriedene Kunden buchstäblich nicht leisten.

Wie sogenannte Billigfriseure mit zehn Euro pro Leistung dauerhaft ihre Existenz sichern können, ist ihm unbegreiflich. Möglich macht es ein Mix aus Niedriglohn und Aufstockung durch das Arbeitsamt. Für Betriebe, die ihre Mitarbeiter aus eigener Kraft gut bezahlen, gleiche dies einer legalen Wettbewerbsverzerrung, kritisiert die Friseurinnung. Gegensteuern wird zukünftig ein allgemeinverbindlicher tariflicher Mindestlohn.

In mehreren Etappen soll sich der Stundenlohn bis zum Jahr 2015 deutschlandweit auf 8,50 Euro hochschrauben. Potenzial und Risiken gehen dabei Hand in Hand, so viel ist allen klar: Noch ist nicht abzusehen, wie sich die Regelung auf die Schwarzarbeit auswirken wird. Die sei schon jetzt ein großes Problem, das mit den aktuell schwachen Kontrollinstrumenten der Handwerkskammer nicht lösbar sei.

Gleichzeitig darf die Friseurbranche auf eine Imageverbesserung hoffen, die den Beruf im besten Fall auch wieder für junge Leute interessant macht. Neueinsteiger könnten sich ihren Arbeitgeber derzeit aussuchen. Die Friseurinnung rät daher: „Traut euch! Wer direkt in die Läden geht, kann sich nicht nur ein Bild von der Arbeitsatmosphäre machen, sondern auch nach einer freien Ausbildungsstelle fragen. Es hat in vielen Fällen Erfolg.“

Derzeit schreibt die Handwerkskammer Berlin 112 Lehrstellen auf ihrer Website aus. Jede von ihnen ist eine Chance; für die jungen Kreativen, aber auch für in Not geratene Traditionssalons wie den von Caroline Weber.