Es ist eine gewaltige Summe: Rund 640Millionen Euro muss der Senat an das Unternehmen Veolia zahlen, um dessen Anteile an den Berliner Wasserbetrieben (BWB) zurückzukaufen. 640 Millionen Euro, die Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) natürlich nur aufbringen kann, wenn er dafür neue Kredite aufnimmt. Also neue Schulden im Auftrag des Landes Berlin macht.
Einen Aufschrei gab es angesichts eines solchen Millionenbetrags aber am Dienstag, als der Senat für diesen Deal grünes Licht erteilt hat, weder bei der SPD noch bei der CDU. Einzig der Berliner Wassertisch – also jene Initiative, die vor zwei Jahren den Volksentscheid zu den Berliner Wasserbetrieben zu einem Erfolg geführt hatte – und die Grünen kritisierten den Kaufpreis als zu hoch. Warum erschrickt in Berlin niemand mehr, wenn der Senat Millionen und Abermillionen Euro ausgeben will, warum erschrickt niemand mehr, wenn der Finanzsenator immer neue Millionenkredite aufnimmt – bei einem Schuldenberg von schon 63 Milliarden Euro?
Ein Aufschrei bleibt aus
Ein Grund ist wohl, dass sich die Berliner an solche finanzpolitischen Abenteuer gewöhnt haben. Beispiele gewünscht? Für die RWE-Anteile, die das Land Berlin kürzlich zurückkaufte, gab der Senator rund 650 Millionen Euro aus – also mehr als bei Veolia. Für den Pannenflughafen BER, dessen Eröffnung noch immer in weiter Ferne ist, haben die drei Gesellschafter – Berlin, Brandenburg und der Bund – schon mehr als vier Milliarden Euro ausgegeben. Alle Experten rechnen damit, dass der BER letztlich mehr als fünf Milliarden Euro kosten wird. Im Moment verschlingt der BER monatlich rund 30 Millionen Euro. 30Millionen Euro – allein diese Summe ist einen Aufschrei wert.
Ein letztes Beispiel: Auf dem Tempelhofer Feld soll eine neue zentrale Landesbibliothek errichtet werden. Ein Projekt, mit dem sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gerne ein Denkmal setzen will. Veranschlagte Kosten: 270 Millionen Euro – und keiner, auch nicht der Finanzsenator, der doch weiß, dass auch dies nur über Kredite zu finanzieren ist und dass bald die Schuldenbremse für alle Bundesländer in Kraft tritt, widerspricht.
„Rekommunalisierung“ ist der neue Trend
Ein zweiter Grund, warum der Finanzsenator über Monate hinweg Veolia vergraulen durfte – so erzählen es die Veolia-Vertreter, die gerne Anteilseigner geblieben wären – und jetzt die Millionen Euro ausgeben darf, liegt im Trend „Rekommunalisierung“. Nachdem in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten viele Kommunen ihre staatseigenen Betriebe ganz oder teilweise an private Unternehmen verkauft hatten, schwingt das Pendel seit einiger Zeit wieder in die andere Richtung. Die Kommunen wollen die Betriebe wieder selbst führen – angesichts der Gewinne, die die Privaten mit Wasserbetrieben und Energieunternehmen oder in der Abfallwirtschaft machten. Ein Trend, der auch Berlin und vor allem die Sozialdemokraten erreicht hat.
Die Wasserbetriebe in Berlin – das gehört zur Geschichte hinzu – haben sich unter der Leitung der privaten Anteilseigner RWE und Veolia gut, ja sogar prächtig entwickelt. Es wurde kräftig investiert, aber auch Stellen abgebaut und die BWB neu aufgestellt. Die Gewinne konnten sich sehen lassen, davon profitierte mit rund 100 Millionen Euro Gewinn jährlich auch das Land Berlin. Nun will die SPD den Gewinn wieder für das Land Berlin alleine haben. Auch der Finanzsenator meint, dass seine Rechnung beim Veolia-Deal aufgeht – niedrige Zinsen für die erforderlichen Kredite, Rückzahlung dann über 30 Jahre. Im Jahr 2043 etwa kämen die gesamten Gewinne dann den Berlinern zugute.
Berliner Wasserpreis ist bislang nicht gesunken
Aber keiner sagt, dass auch ein Land Berlin als Eigentümer weiter in die Wasserbetriebe investieren muss. In neues Personal, in neue Wasserwerke, in Leitungen und all die Abwasser- und Kläranlagen. Auch der wahrlich hohe Wasserpreis in Berlin ist bislang nicht gesunken. Das verspricht auch der Finanzsenator nicht. Und dabei war doch genau das der Wunsch der rund 660.000 Berliner, die vor zwei Jahren für den Volksentscheid zur Offenlegung der BWB-Privatisierungsverträge gestimmt haben. Ein Versprechen, dass bislang keiner einlösen konnte.
Doch noch etwas muss man wissen: Nicht nur der Rückkauf der Berliner Wasserbetriebe ist für den Senat ein finanziell riskantes Spiel. Dies gilt auch für den nächsten Volksentscheid: Die Initiative Berliner Energietisch möchte den Senat per Volksabstimmung zwingen, das Stromnetz zurückzukaufen und ein Stadtwerk zu gründen. Geschätzte Kosten: ein bis zwei Milliarden Euro.
Wenn die erforderlichen rund 660.000 Ja-Stimmen zusammenkommen, muss der Senat ein entsprechendes Gesetz beschließen und den Willen der Berliner umsetzen. Also erneut eine Milliardensumme ausgeben – ohne belegen zu können, dass er ein Stromnetz managen und ein Stadtwerk betreiben kann. In Berlin hat sich der Senat – auf Druck der CDU – inzwischen zwar gegen den Volksentscheid ausgesprochen, aber doch halbherzig. Denn die Berliner SPD mit dem Landeschef Jan Stöß und dem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh will das sehr wohl: als Land Berlin wieder über Stromnetz und Stadtwerk verfügen – und damit über die Gewinne.
Hamburg sprach sich gegen Kauf des Stromnetzes aus
Interessant, dass in Hamburg, wo mit Olaf Scholz auch ein Sozialdemokrat regiert, die Landesregierung sich wegen der finanziellen Risiken ganz klar gegen den Erwerb des Stromnetzes ausspricht. Auch dort werden die Kosten auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro geschätzt. Am 22.September, dem Tag der Bundestagswahl, müssen sich die Hamburger entscheiden. In Berlin steht die Abstimmung erst am 3. November an. Weil viele Berliner hoffen, dass mit ihrem Ja auch der Strompreis sinken wird, ist offen, wie die Entscheidung ausgeht. Aber auch in diesem Fall könnte es eine herbe Enttäuschung geben, denn auch ein Land Berlin kann den Strompreis nicht einfach so senken. Siehe Wasserpreis.
Und so beobachten die anderen Bundesländer genau, was der Berliner Senat da treibt und wofür alles er Geld ausgeben will. Trotz 63 Milliarden Euro Schulden, trotz der Schuldenbremse, die den Ländern ab 2020 verbietet, neue Schulden zu machen. Und weil über den Länderfinanzausgleich, aus dem Berlin noch viele Milliarden Euro erhält, neu verhandelt werden muss, warnen die Experten schon heute: vor den gefährlichen finanziellen Beschlüssen des Senats. Anschauen, gar mitfinanzieren wollen das die anderen Bundesländer nicht mehr.