Architektur

Wenn die Platte zum fantasievollen Baumhaus wird

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Brigitte Schmiemann

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Baumhäuser, fliegende Vögel, äsende Rehe – französische Künstler haben in Friedrichsfelde die Fassaden der tristen Plattenbauten in farbenfrohe Naturkulissen verwandelt.

Angela Spirk und ihre Tochter Birgit wohnen neuerdings in einem Baumhaus. Es fliegen Schwäne, Kraniche und auch Gänse vor ihren Fenstern vorbei. Nicht nur die frisch aufgemalten auf der Fassade, sondern auch echte. Im nahen Tierpark finden sie Futter. Seit 15 Jahren leben die Spirks in ihrer Wohnung an der Straße Am Tierpark.

Eine riesige Plattenbausiedlung mit rund 1400 Wohnungen für 3000 Menschen. Fassadenkünstler haben jetzt im Auftrag der Wohnungsbaugenossenschaft Solidarität dafür gesorgt, dass aus dem 33 Meter hohen Elfgeschosser etwas Besonderes entstanden ist. „Wir waren vorher eine graue Maus; jetzt haben wir wieder eine Adresse, auf die die Mieter stolz sind“, sagt Hannelore Helbig-Zschäpe, kaufmännischer Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft.

Die gerade fertig gewordenen „Friedrichsfelder Baumhäuser“ in der Straße Am Tierpark 12–26 sind nur eines von insgesamt drei großen Wandgemälden des ,,Friedrichsfelder Triptychons‘‘, das die französische Künstlergruppe „CitéCréation“ aus Lyon und ihr Berliner Tochterunternehmen für die Wohnungsbaugenossenschaft Solidarität in Lichtenberg in drei Jahren geschaffen hat. Das „Friedrichsfelder Tor“ (Alt-Friedrichsfelde 37 bis Am Tierpark 8) als Entree nach Berlin und in die Wohnanlage der Genossenschaft sowie eine Ecke weiter die „Friedrichsfelder Bilderstadt“ (Alt-Friedrichsfelde 26–36) wurden bereits 2011 und 2012 fertiggestellt.

Jetzt ist das Gesamtprojekt abgeschlossen. Am Donnerstag, 22. August, soll das Friedrichsfelder Triptychon feierlich übergeben werden. Ab 14 Uhr werden auch der Kulturattaché der französischen Botschaft, der Lichtenberger Bürgermeister, die französischen Künstler und viele weitere Gäste erwartet. Angemeldet fürs Guinness-Buch der Rekorde als weltweit größtes bewohntes Wandbild ist das Werk bereits seit Februar. 22.000 Quadratmeter Fassade wurden künstlerisch gestaltet.

Faszinierende Ausmaße

Norbert Martins, der im vergangenen Jahr einen Bildband über fantasievoll bemalte Hauswände veröffentlicht hat (Hauswände statt Leinwände – Berliner Wandbilder“) und sich wie kaum ein zweiter damit auskennt, fasziniert die Größe des Projekts in Friedrichsfelde. „Aber auch die Qualität ist hervorragend. Vor allem an der Giebelwand Am Tierpark 12. Dort wurden existierende Menschen porträtähnlich gemalt“, sagt er. Wenn Martins seine Bücher verkauft bekommt, noch muss er 1400 Exemplare loswerden, würde er gern auch dieses Projekt in einer aktualisierten Buchfassung dokumentieren.

Für die Wohnungsbaugenossenschaft Solidarität, die das künstlerische Großprojekt in Friedrichsfelde finanzierte, hat sich die Ausgabe schon jetzt gerechnet. „Die Fassaden hätten wir ohnehin sanieren lassen müssen, eine Lichtenberger Malerfirma hat die Grundfarben aufgetragen und so die Leinwand für die Künstler vorbereitet“, berichtet Hannelore Helbig-Zschäpe. Wie viel die Arbeiten gekostet haben, möchte sie nicht sagen. Nur soviel: „Die Bilder haben rund 20 Prozent mehr als die ohnehin fällige Instandsetzung der Fassade gekostet.“

Das Kunstprojekt will mit dem negativen Image des Plattenbaus aufräumen. Schon jetzt haben die Vermieter festgestellt, dass es weniger Umzüge gibt, die Fluktuation ist um rund zwei Prozent zurückgegangen. Die ohnehin sehr hohe durchschnittliche Wohndauer von 21 Jahren hat sich nach Auskunft von Norbert Berg, dem Assistenten des Vorstands, weiter erhöht. Und seit es die bunten Bilder an der Fassade gibt, müssen auch kaum noch Graffitis entfernt werden. Vorher lagen die Entfernungskosten bei rund 50.000 Euro bei den fast 3200 Wohnungen der Genossenschaft.

Weil eine Genossenschaft neutral sein muss, kamen politische Motive zur Fassadengestaltung nach Auskunft von Helbig-Zschäpe nicht in Frage. Eine Arbeitsgruppe, in der sich viele Mieter engagierten, beriet die Künstler. Die Mieter sind Genossenschaftsmitglieder und dadurch Miteigentümer. So kommen auch die relativ moderaten Mieten von durchschnittlich 4,50 Euro kalt pro Quadratmeter und 2 Euro pro Quadratmeter Betriebskosten zustande. Ein Genossenschaftsanteil kostet 155 Euro, für eine 3-Zimmer-Wohnung mit rund 70 Quadratmetern sind entsprechend Genossenschaftsanteile in Höhe von etwa 1400 Euro zu zahlen.

Dieter Kaste und Manfred Twittmeyer, die als Erstmieter 1981 in die Platte einzogen und jetzt in dem „Baumhaus“ wohnen, wissen noch, wie die Fassade vor dem Kunstwerk ursprünglich aussah: Naturfarben mit dunkelroten Querstreifen. Anfang der 90er-Jahre hatte es einen Anstrich in Pastelltönen gegeben. Die zwei haben die Künstler beraten, welche typischen Vögel es in der Gegend gibt. Sie wissen, dass viele Vogelgäste wie beispielsweise Fischreiher bei ihnen vorbeifliegen, die sich im Tierpark ernähren, der sich gleich eine Straße weiter befindet. Hausmeister Jörg Schiche weiß, dass die meisten Mieter die Verschönerung begrüßen und stolz sind, jetzt im größten bewohnen Wandgemälde der Welt zu wohnen. Nur einige wenige hätten das Geld lieber in andere Hausprojekte investiert gesehen.

„Beeindruckend“ finden auch Karin und Detlev Barkowsky die Malerei. Das Rentnerpaar ist extra aus Baumschulenweg gekommen, um das Kunstwerk zu besichtigen. „Das ist Graffiti, die wir akzeptieren“, sagen sie. Das sei doch ganz was anderes als die Schmierereien, die so manche Hauswand in Berlin verunstalteten.

Auf die Kinder in der Plattenbau-Siedlung sind die Künstler ebenfalls eingegangen. Die hatten ihnen eines Tages nämlich frech vorgehalten: „Ihr könnt ja nur Vögel malen.“ Jetzt zieren zwei im Gras liegende Rehe eine Fassade am Hauseingang. Um überhaupt zu wissen, wie viele und welche Tiere an den Fassaden kreuchen und fleuchen, will die Wohnungsbaugenossenschaft in Kürze mit der nahen Bürgermeister-Ziethen-Schule und der Kita Purzelbaum einen Wettbewerb ausrufen. Dabei wird es darum gehen, wer die meisten Vögel erkennt. Auch Birgit Spirk und ihre Mutter entdecken noch jeden Tag etwas Neues – so wie viele Spaziergänger, die sich immer wieder konzentriert das Fassadengemälde anschauen. Fast wie in einer Galerie.

Info:

Vermieter: Die Wohnungsbaugenossenschaft Solidarität wurde 1956 gegründet. Sie hat 4210 Mitglieder und fast 3200 Wohnungen in Mitte, Lichtenberg, Friedrichsfelde und Karlshorst. Durchschnittlich wohnen die Mieter 21 Jahre in ihren Wohnungen. In Friedrichsfelde hat sie mit rund 1400 Wohnungen ihr größtes Wohngebiet

Wandgemälde: Die Künstlergruppe Cité Création aus Lyon bemalt in aller Welt großflächig Fassaden. Zum Künstlerteam, das drei Jahr lang in Friedrichsfelde arbeitete, gehörten 17 Künstler. Das Wandbild ist 30 Meter hoch. 13.732 Liter Farbe wurden verbraucht, außerdem 345 Pinsel und 166 Fassadenwalzen.

Baumhäuser: Beim letzten Teil des dreiteiligen Wandegmäldes erhielten die kleinen Wohnungen Am Tierpark 12–26 Balkons, die an der Fassade angebaut wurden. Die Künstler bezogen sie in ihre Motive ein. Die braune Farbe der Balkons fügt sich als Baumstamm in das Fassadenmotiv ein. Von diesem Baumstamm gehen die Äste und Blätter der Bäume ab.

( bsm )