Arbeitsmarkt

Warum immer mehr Berliner einen Zweitjob haben

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Hans Evert

Foto: Gero Breloer / picture-alliance/ dpa

75.000 Berliner gehen einer Nebentätigkeit nach. Seit 2003 ist das ein Plus von fast 170 Prozent – höher als in jedem anderen Bundesland. Ist es pure Not oder der Wunsch, sich mehr leisten zu können?

Das schöne an den vielen Zahlen, die zum Arbeitsmarkt produziert werden, ist: Man kann die vielen Tabellen je nach politischer Einfärbung für seine Anliegen reklamieren.

Jüngstes Beispiel: Die Zahl der Menschen mit Nebenjob. 2,66 Millionen Menschen in Deutschland verdienen sich neben ihrer Hauptbeschäftigung noch etwas dazu, in Berlin sind es 75.200 (jeweils Stand Ende 2012).

In Berlin hat sich damit die Zahl der registrierten Zweitjobber seit 2003 um fast 170 Prozent zugelegt: von knapp 28.000 auf mehr als 75.000. Bundesweit betrug der Zuwachs im selben Zeitraum knapp 130 Prozent.

Doch warum tun sich immer mehr Menschen diesen Stress in diesem Land an, wo die Politik gern per Gesetz Stress im Job verbieten möchte?

Eine mögliche Antwort liefert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Deren Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sieht darin „dramatische Folge und gleichzeitig Treibsatz des riesigen Niedriglohnsektors in Deutschland“. Eine Sprecherin von Arbeitsministern Ursula von der Leyen (CDU) nannte „Konsumlust“ als ein Motiv neben finanziellen Engpässen. Dafür wurde sie im Internet mit Spott überhäuft.

Rätseln über das Motiv

„Ich glaube nicht, dass man die Zunahme damit erklären kann, dass viele Leute bittere Not leiden“, sagt Karl Brenke, Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Dem Konjunkturexperten Brenke hängt nicht der Ruf eines Gewerkschaftsgegners an. Er verweist darauf, dass die Zahlen der Arbeitsagenturen keine Auskunft darüber geben, was die Menschen in ihrem Hauptberuf tun. Somit spiegelt die Zahl der nebenberuflichen Minijobber nur die Anmeldungen der Arbeitgeber bei der Bundesknappschaft. Dort wird die geringfügige Beschäftigung - höchstens 450 Euro pro Monat, keine Abgaben und Steuern für Arbeitnehmer – registriert.

Eine zweites Zahlenwerk, auf das Brenke verweist, ist der Mikroszensus. Bei der Stichprobenerhebung des Statistischen Bundesamtes wird beispielsweise der Bildungsgrad mit abgefragt. Die dabei ermittelte Zahl wird ans Brüsseler Statistikamt Eurostat geschickt und dient auf Europaebene als Grundlage. Demnach gab es in Deutschland statt 2,66 Millionen Menschen mit Zweitjob nur rund 1,93 Millionen. Nun ist der Mikrozensus nur eine Stichprobe, allerdings eine sehr große (ein Prozent der deutschen Bevölkerung).

Umfrage der IG Metall

Dem Mikrozensus zufolge haben gut ein Drittel der Deutschen mit Minijob – rund 655.000 – eine akademische Bildung. Gut 185.000 besitzen einen niedrigen oder gar keinen Schulabschluss. Die meisten Zweitjobber haben demnach einen mittleren Berufsabschluss. Wahrscheinlich sind die Motive höchst verschieden. In einer Umfrage der IG Metall gaben 39 Prozent der über 35-Jährigen an, ohne Nebentätigkeit nicht über die Runden zu kommen. 34 Prozent wollten sich etwas leisten.

Das Forschungsinstitut der Bundesagentur, IAB, will nun im Herbst eine Studie präsentieren. Darin sollen die Beweggründe der Zweitjobber ergründet werden. Was man jetzt schon weiß: Die meisten Berliner mit Nebentätigkeit arbeiten in einem Minijob des Einzelhandels (12,3 Prozent), im Gastgewerbe (12,9 Prozent) oder in Krankenhäusern, Pflege- und sonstigen Einrichtungen (14,6 Prozent). Was man noch weiß: 43,5 Prozent sind Männer, 56,5 Prozent Frauen. Und während bundesweit neun Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer einen Zweitjob haben, sind es in Berlin nur rund sechs Prozent.