Einmal pro Woche betritt die Nigerianerin Kate M. den Saal B129 im Berliner Landgericht Moabit. Die zierliche und unscheinbare Frau wirkt dabei wie ein typisches Verbrechensopfer, doch der Eindruck, den die 34-Jährige mit den unbeholfenen Bewegungen und dem immer etwas verschüchtert wirkenden Lächeln erweckt, täuscht.
Denn Kate M. ist die Angeklagte in einem bereits seit Dezember 2012 laufenden Mammutprozess. Und die Liste der Vorwürfe, die die Berliner Staatsanwaltschaft gegen sie erhebt, ist lang. Zuhälterei, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, besonders schwerer Fall der Bestechung, Bedrohung, Nötigung. Und das sind nur die Hauptanklagepunkte.
Kate M. lebt seit vielen Jahren in Berlin, ist mit einem Deutschen verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und sie ist nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden die Deutschland-Statthalterin eines Zuhälter- und Menschenhändlerrings, der junge Frauen und Mädchen vor allem aus afrikanischen Staaten nach Deutschland bringt.
Hier wartet auf die Opfer dann das, was allgemein unter dem Begriff Zwangsprostitution bekannt ist. Und für viele junge Afrikanerinnen führt der Weg direkt ins Elend zumeist über Berlin. Die Hauptstadt ist wie in vielen anderen Bereichen der international agierenden organisierten Kriminalität (OK) die Drehscheibe, über die jegliche Ware, auch die Ware Mensch, eingeschleust und dann an die endgültigen Bestimmungsorte weitergeleitet wird.
Spitze des Eisbergs
Verlässliche Zahlen über die Dimensionen dieses ebenso skrupellosen wie schmutzigen Geschäftes gibt es kaum. Kurz nach der Jahrtausendwende präsentierten Justiz und Polizei in Berlin einige Jahre lang ein „Lagebild OK“. Die Veröffentlichungen wurden aber wieder eingestellt. Die darin aufgeführten Zahlen waren ohnehin wenig aussagekräftig. Denn im Bereich Menschenhandel und Zwangsprostitution ist das, was die Behörden zutage fördern, nicht mehr als die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs.
600 bis 800 Ermittlungskomplexe registriert das Bundeskriminalamt (BKA) jährlich für ganz Deutschland. Denen stehen geschätzte 25.000 Opfer gegenüber, die einer Studie der Europäischen Union zufolge pro Jahr nach Deutschland eingeschleust werden. Eine private Organisation spricht gar von 40.000 betroffenen Frauen und Mädchen. Das Gros der Opfer kommt nach wie vor aus den Ländern Osteuropas. Seit einigen Jahren werden allerdings auch zunehmend Afrikanerinnen, junge Frauen, Mädchen und sogar Kinder nach Deutschland eingeschleust.
Angeklagte schweigt
Warum die Ermittlungen so mühsam sind und häufig erfolglos bleiben, lässt auch der Prozess gegen Kate M. erahnen. Vor knapp einem Jahr wurde die 34-Jährige festgenommen, es war ein Zufallstreffer im Rahmen einer routinemäßigen Bordellkontrolle. Seit Mitte Dezember 2012 steht sie vor Gericht, doch der Prozess gestaltet sich trotz der intensiven Vorermittlungen und der umfangreichen Anklageschrift schwierig. Ursprünglich war ein Urteil schon für April geplant, dann sollte es im Juni gesprochen werden, und inzwischen sind weitere Verhandlungstage bis Oktober dieses Jahres fest eingeplant.
Seit Prozessbeginn schweigt die Angeklagte beharrlich, das Gleiche gilt für die Opfer. Für OK-Ermittler ist das nichts Neues, sie wissen, dass sowohl die betroffenen Frauen wie auch ihre Familien daheim brutal unter Druck gesetzt werden. Im Fall Kate M. sowie in einem weiteren Verfahren gegen eine andere in der gleichen Branche tätigen Nigerianerin kommt aber noch ein anderes Druckmittel hinzu, das die deutschen Ermittler nicht nur verzweifeln, sondern auch staunen lässt: Voodoo-Zauber.
Mit den Kräften des Voodoo-Zaubers
Was bei jedem normalen Mitteleuropäer Gelächter auslösen würde, zeigt bei den jungen Frauen aus Nigeria große Wirkung. Sie kommen aus den rückständigsten Gegenden ihres Heimatlandes, haben zumeist keine Schule besucht und glauben an die gewaltigen Kräfte des Voodoo-Zaubers. Man hat ihnen vor der Reise mittels Schnitten mit Rasierklingen Blut abgenommen, außerdem Kopf- und Schamhaare sowie Fingernägel abgeschnitten. Diese Hinterlassenschaften blieben bei einem mächtigen Voodoo-Priester.
Und der könne sie damit auch aus der Ferne jederzeit mit Tod, Krankheiten und Gebrechen bestrafen, wurde den Opfern angedroht. Mit diesen und weiteren Drohungen gefügig gemacht, mussten sie einen Eid leisten: „Ich schwöre, meiner Madam zu gehorchen, sie nie zu verlassen, ihr das Geld zu geben, das sie verlangt, und niemals zur Polizei zu gehen.“
Kate M. soll so eine „Madam“ gewesen sein. Bis zu 70.000 Euro „Schleusungskosten“ soll sie den Frauen abgenommen haben. Bezahlt werden mussten davon nicht nur Reisekosten und Mieten für Wohnungen in Berlin, in denen die Opfer untergebracht wurden, bevor man sie auf Bordelle im gesamten Bundesgebiet verteilte. Bezahlt werden mussten in den Herkunftsländern der Frauen offenbar auch einheimische Konsulatsmitarbeiter, die gegen einen entsprechenden Obolus die nötigen Dokumente für die Reise der Frauen nach Deutschland ausstellten.
Voodoo-Zauber und andere Drohungen zeigten bei diesen Frauen ganz offensichtlich die gewünschte Wirkung. Im Prozess gegen Kate M. schwiegen bislang sämtliche Opfer. Nur eine betroffene Frau hat bislang in diversen Verfahren gegen afrikanische Schleuserbanden ausgesagt. Die 26-jährige Sarah, ebenfalls aus Nigeria stammend, kam schon vor sieben Jahren nach Deutschland.
Zwei Dutzend Freier pro Nacht
Einheimische Werber hatten sie in ihrem Heimatland angesprochen und ihr im klassischen Stil dieses Geschäfts eine Tätigkeit als Friseurin oder Kindermädchen angeboten. In Berlin landete sie zunächst mit zahlreichen Leidensgenossinnen in einer kleinen Wohnung in Wedding, wo ihr klargemacht wurde, welcher Tätigkeit sie künftig tatsächlich nachgehen würde. Anschließend begann eine Odyssee durch Bordelle in Hannover, Braunschweig, Essen, Koblenz und Trier. Viele der Etablissements waren sogenannte Flatrate-Bordelle. Der Kunde zahlte einen Festbetrag und vergnügte sich dann anschließend mit verschiedenen Prostituierten, so oft und so lange er wollte. Oder konnte.
Auf diese Weise musste Sarah an einem Abend mitunter bis zu zwei Dutzend Freiern zu Diensten sein. Immer wenn sie 400 Euro verdient hatte, wurde ihr das Geld abgenommen, lediglich 20 Euro durfte sie behalten. 2010 wurde Sarah bei einer Bordellkontrolle festgenommen und packte aus. Seither steht sie unter Polizeischutz.