Verfassungsschutz

Berliner Behörden warnen vor gewaltbereiten Salafisten

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Christina Brüning

Foto: Adam Berry / Getty Images

Innensenator Frank Henkel und Verfassungsschutzpräsident Bernd Palenda sind wegen der wachsenden Salafisten-Szene in Berlin besorgt. In der Stadt leben mehr als 200 radikale Islamisten.

Innensenator Frank Henkel (CDU) und Berlins Verfassungsschutz-Chef Bernd Palenda sehen im islamistischen Terrorismus eine anhaltend große Bedrohung für Berlin. Es gebe zwar nur eine abstrakte Gefährdungslage für Anschläge in der Hauptstadt – konkrete Terrorpläne seien nicht bekannt –, dennoch könne es keine Entwarnung geben, sagte Henkel am Mittwoch bei der Vorstellung des jährlichen Tätigkeitsberichts des Verfassungsschutzes. „Die Bedrohungslage ist nach wie vor ernst“, so Henkel.

Vor allem der sich ausbreitende Salafismus in Berlin macht den Sicherheitspolitikern Sorgen. Als Salafismus werden radikale Strömungen bezeichnet, die eine Gesellschaft im Rahmen frühislamischer Rechtsordnungen anstreben – und allein dadurch als Gefahr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gelten, die der Inlandsgeheimdienst schützen soll. Ein Teil der Salafisten-Szene wird zudem als gewaltbereit eingestuft.

Deutschlandweit zählte der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr etwa 4500 Salafisten, im Jahr davor waren es noch 3800. Auch in Berlin wächst die Bewegung in den letzten Jahren stetig. 400 Personen rechnet die Palendas Behörde der fundamentalistischen Bewegung mittlerweile zu – ein Plus von 50 Personen im Vergleich zu 2011. Gut die Hälfte von ihnen rechnet der Verfassungsschutz im aktuellen Bericht der gewaltorientierten Szene zu.

Radikalisiert in Berlin

Wurden die Anhänger des Salafismus bisher vor allem in bestimmten Moscheen radikalisiert – der Bericht nennt in Berlin dazu erneut die Al-Sahaba-Moschee in Wedding und die Al-Nur-Moschee in Neukölln –, sieht der kommissarische Verfassungsschutz-Chef Palenda nun den Trend zu privaten Versammlungen. Dort werde in kleinen Gruppen noch intensiver die Ideologie verbreitet. Dennoch beschreibt der Verfassungsschutzbericht weiterhin das Phänomen der „Islamseminare“, bei denen teilweise bundesweit bekannte Prediger wie der Konvertit Pierre Vogel neue Anhänger werben. Die meisten dieser Seminare haben laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr in den genannten zwei Moscheen stattgefunden. Teils seien mehrere Hundert Besucher dabei gewesen.

Als problematisch stuft der Verfassungsschutz, der in Berlin eine Abteilung der Innenverwaltung und keine eigene Behörde ist, die starke Reisetätigkeit von Islamisten ein. „Im Sommer 2012 stieg die Zahl der Ausreisen deutscher dschihadistisch-salafistisch gesinnter Personen deutlich an“, heißt es. Von 60 ausgereisten Personen seien gut ein Dutzend Berliner gewesen. Zumeist über Ägypten reisen die Männer weiter in den Nahen Osten oder nach Nordafrika, um Kontakte zum Al-Qaida-Netzwerk zu knüpfen. Etwa 50 Deutsche seien zudem nach Syrien ausgereist, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen, Tendenz steigend. „Die Lage in Syrien ist sehr dynamisch und kann sich täglich verändern“, sagte Henkel am Mittwoch. „Wir können leider nicht ausschließen, dass diese Personen irgendwann zurückkommen und gestählt von ihren Erfahrungen hier noch gefährlicher sind.“

Rechtsextremistische Szene in Berlin ist kleiner geworden

Neben dem Islamismus konzentriert sich der Bericht auf die Bereiche Rechts- und Linksextremismus. Die rechtsextremistische Szene in Berlin ist demnach 2012 mit rund 1290 Personen etwas kleiner geworden. Die Szene dieses „aktionsorientierten Rechtsextremismus“, wie es die Behörde nennt, wird in der Hauptstadt nach wie vor dominiert vom informellen Netzwerk „Freie Kräfte“, zu dem laut Bericht ein Führungskern von etwa 15 Personen sowie insgesamt rund 140 Unterstützer gehören. Dabei bestehen Verknüpfungen zur rechtsextremen Partei NPD. Die NPD selbst konnte sich den Angaben zufolge auch mit ihrem neuen Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke nicht aus der personellen, finanziellen und organisatorischen Krise retten. Sie hat in Berlin 250 Mitglieder.

Die Zahl der Linksextremisten stieg im vergangenen Jahr leicht auf rund 2410 Berliner, der Anteil der gewaltbereiten Linken sei jedoch gesunken auf rund 1040. Vor allem die Autonomen verlieren Kräfte, heißt es im Bericht. Da es 2012 wenig Anlässe für Aktionen gegeben habe, sei die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten entsprechend niedrig gewesen – mit 866 fast halb so viele wie 2011. Besorgniserregend nennt Henkel die „brutalen“ Übergriffe von kleinen Gruppen, die auch nicht vor Gewalt gegen Polizisten zurückschreckten.

Schaden in Milliardenhöhe durch Wirtschaftsspionage

Umfangreicher geworden im jährlichen Bericht des Verfassungsschutzes ist der Bereich Wirtschaftsspionage. Milliarden Euro Schaden würden jährlich in Deutschland durch das Ausspähen von Unternehmensinformationen entstehen, so der Bericht. Zahlen für Berlin gibt es laut Palenda nicht. Der Verfassungsschutz nennt explizit chinesische und russische Geheimdienste als Drahtzieher und warnt Unternehmen, ihre Informationen besser zu schützen. So würden nicht nur Cyberangriffe und Spionage etwa mithilfe von Doktoranden oder Praktikanten eingesetzt, auch die sozialen Netzwerke im Internet würden zunehmend zum Ausspähen von Informationen oder Kontaktaufnahme zu Mitarbeitern genützt. „Wir wollen die Unternehmen sensibilisieren“, so Palenda.

Die Diskussion um den Bericht im Ausschuss für Verfassungsschutz drehte sich am Mittwoch auch um die grundsätzliche Frage, ob Deutschland nach den NSU-Ermittlungsskandalen überhaupt noch Verfassungsschutzbehörden in den Ländern braucht, was der Grünen-Politiker Dirk Behrendt anzweifelte. „Nur weil der Verfassungsschutz ein dickes Buch schreiben kann, begründet das noch nicht seine Notwendigkeit“, sagte Behrendt. Er und Hakan Taş (Linke) kritisierten ferner, im Bericht würde der Aktenschredder-Skandal ebenso ausgespart wie der Rücktritt von Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid – für deren Nachfolge noch bis zum 7. Juni eine Ausschreibung läuft, für die auch Palenda Interesse bekundet hat. SPD, CDU und Piraten sprachen sich dagegen für den Berliner Verfassungsschutz aus. Thomas Kleineidam (SPD) sagte zudem, er nehme es „mit Befriedigung zur Kenntnis“, dass die NPD ebenso wie auch Scientology in Berlin geschwächt sei. Er betonte jedoch wie auch Stephan Lenz (CDU) alle Bereiche müssten weiter im Auge behalten werden.