Tödliche Prügelattacke

Fall Jonny K. - Der Prozess droht zu platzen

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Michael Mielke

Foto: Soeren Stache / dpa

Die Aufklärung der tödlichen Attacke auf Jonny K. gestaltet sich kompliziert. Ein Schöffe war derart genervt, dass der Prozess wegen seines Kommentars möglicherweise neu aufgerollt werden muss.

Im Prozess um den Tod des 20-jährigen Jonny K. haben die Verteidiger einen Ablehnungsantrag gegen einen Schöffen gestellt. Sie sehen ihn als befangen an. Sollte die Moabiter Jugendkammer diesem Antrag nachkommen, muss der aktuelle Prozess vorzeitig beendet werden, da es keinen Ersatzschöffen gibt.

Jonny K. war laut Anklage in der Nacht zum 14. Oktober 2012 am Alexanderplatz mit Schlägen und Tritten so heftig angegriffen worden, dass er stürzte und später an Gehirnblutungen starb. Sein Tod hatte bundesweit Bestürzung ausgelöst. Sechs Männer im Alter von 19 bis 24 Jahren sitzen wegen des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank. Alle haben Schläge oder Tritte eingeräumt. Die Verantwortung für den Tod wiesen die Angeklagten aber zurück.

Grund des Antrages, den Schöffen abzulehnen, war am Donnerstag die Befragung eines Zeugen. Der, so gab er zumindest an, schien unter starken Erinnungslücken zu leiden. Der 23-jährige Ali J. wurde zunächst von einer beisitzenden Richterin ermahnt, sich doch besser zu konzentrieren und seiner Pflicht als Zeuge nachzukommen. Als er dennoch auch die weiteren Fragen mit „ich weiß es es nicht mehr“ oder Kopfschütteln beantwortete, schaltete sich einer der beiden Schöffen ein. Er habe da auch mal eine Frage, sagte er zu Ali J.: „Sind Sie einfach nur feige oder wollen Sie hier das Gericht verarschen?“

„Eine sehr überlegte, präzise, drastische und extrem wertende Äußerung“

Der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck kritisierte den ehrenamtlichen Richter sofort und sagte, dies sei nicht der Ton, den er hier im Verhandlungssaal hören wolle, erst recht nicht von der Richterbank. Da war es jedoch schon zu spät. Verteidiger Peter Zuriel bat um eine Unterbrechung der Verhandlung.

30 Minuten später folgte der Antrag auf Ablehnung des Schöffen, dem sich alle anderen Verteidiger anschlossen. Sie begründeten den Antrag mit dem Eindruck ihrer Mandanten, der ehrenamtliche Richter sei offenbar verärgert, von dem Zeugen nicht die gewünschten, die Angeklagten belastenden Aussagen gehört zu haben. Es handele sich hier „offenkundig nicht um eine spontane, sondern ganz gezielt um eine sehr überlegte, präzise, drastische und extrem wertende Äußerung“, argumentierte Verteidiger Friedhelm Enners.

Staatsanwalt weist Antrag zurück

Richter Schweckendieck stellte den Antrag auf Ablehnung des Schöffen „zunächst zurück“ und will ihn erst am übernächsten Verhandlungstag, am Donnerstag, 6. Juni, bescheiden. Oberstaatsanwalt Michael von Hagen plädierte dafür, den Antrag als „unbegründet“ abzulehnen. Der Schöffe habe sich unqualifiziert geäußert, so der Anklagevertreter. Das sei aber nicht aus Unmut über die ausgebliebene belastende Aussage geschehen, sondern wegen der generell merkwürdig anmutenden Erinnerungslücken dieses Zeugen.

Ali J. galt als einer der wichtigsten Zeugen in diesem Proezss. Er und zwei weitere junge Männer, die ebenfalls als Zeugen geladen waren, hatten am 14. Oktober in jenem Moment die Diskothek „Cancun“ verlassen, als Jonny K. und dessen Freund Gerhardt C. angegriffen wurden. Bei polizeilichen Vernehmungen hatte sich Ali J. zwar ebenfalls schon auf Erinnerungslücken berufen, hatte sich aber auch an Details erinnern können.

So glaubte er, zumindest gesehen zu haben, dass sechs Personen zwei Personen schlugen und traten. Seine Erinnerungsausfälle begründete er auch damit, noch nie eine größere Prügelei beobachtet zu haben. Was Richter Schweckendieck als schwer nachvollziehbar einschätzte, müsste sich doch Ali J. dann eher besonders gut an das schlimme Geschehen erinnern.

Erinnerungslücken auch bei weiterem Zeugen

Unter noch größerem Gedächtnisschwund schien der zweite Zeuge, der 22-jährige Fatih M., zu leiden. Er wusste angeblich nicht einmal mehr, wann er am 14. Oktober die Diskothek betrat, wann er sie verließ und warum er an diesem Tag überhaupt ins „Cancun“ gegangen war. Gebetsmühlenartig beantwortete er fast jede Frage mit Sätzen wie „ich kann mich nicht erinnern“ und „ich weiß es nicht mehr“.

Auch in den Medien wollte er kaum etwas über den Tod von Jonny K. gelesen oder gesehen haben, weil er keine Zeitung lese und nur sehr selten Fernsehen schaue. Schweckendieck äußerte Unverständnis: „Es fällt schwer, das zu glauben. Wissen Sie überhaupt, worum es in dem Prozess geht?“ Fragen des Gerichts und auch der Verteidiger, ob er vor seiner geplanten Zeugenaussage von anderen Personen unter Druck gesetzt worden sei, verneinte Fatih M. auffällig genervt und nachdrücklich.

Kurzsichtiger Zeuge

Etwas genauer konnte sich der dritte Zeuge, der 23-jährige Muhammet A. erinnern. Er wusste zumindest noch, wann und warum er und die beiden anderen Zeugen am 14. Oktober ins „Cancun“ gegangen waren und dass er beim Verlassen der Diskothek die Prügelei gesehen habe. Allerdings habe er keine Brille getragen und aufgrund seiner Kurzsichtigkeit nicht viel erkennen können. Bei der Polizei hatte er noch zu Protokoll gegeben, dass der am Boden liegende Mann – offenkundig Jonny K. – getreten worden sei. Auch direkt mit dem Fuß von oben aufs Gesicht. In dem Protokoll war von einer „stampfenden Bewegung“ die Rede.

Einige Angeklagte lachten, als sie die Aussagen der drei Zeugen hörten. Auch auf den Zuschauerbänken war, offenbar von Angehörigen der Angeklagten, lautes Lachen zu hören. Jonny K.s Schwester Tina., die den Prozess als Nebenklägerin verfolgt, und ihr Lebensgefährte Gerhardt C. hatten zeitweise sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren.