Kinderbetreuung

Der Kampf der Kita-Betreiber um die Erzieherinnen

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Florentine Anders und Anette Dowideit

Foto: JakobHoff / Jakob Hoff

Aufgrund des Erziehermangels greifen viele Einrichtungen zu ungewöhnlichen Mitteln: Private und kommunale Kindergärten werben sich gegenseitig die Mitarbeiter ab. Mit Tricks werden Löhne hochgesetzt.

Die Einrichtung ist beliebt. Die Kreuzberger Kita am Park hat ein schönes Gelände zu bieten. In dem riesigen Garten züchten die Kinder Kürbisse und Erdbeeren. Der Ruf ist so gut, dass es für 19 frei werdende Plätze 450 Anmeldungen gab. Dennoch hat die Einrichtung des Eigenbetrieb City ein Problem. Seit fast einem Jahr sind zwei Teilzeitstellen für Erzieher nicht besetzt. „Es ist unheimlich schwer, Personal zu finden, erst recht, wenn man keine volle Stelle zu bieten hat“, sagt die Leiterin Stephanie Rütten. Denn die gesuchten Kollegen sollen abwechselnd in der Gruppe aushelfen.

Stephanie Rütten würde gern zusätzliche Plätze anbieten, viele Eltern sind geradezu verzweifelt auf der Suche nach einem Kita-Platz für ihr Kind. Doch wie fast überall fehlt das Personal. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind allein in Berlin etwa 800 Erzieherstellen unbesetzt.

Immer häufiger würden die Einrichtungen in ihrer Not auf das nicht ausgebildete Personal der Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen, sagt Christiane Weißhoff von der GEW. Angesichts der vielen offenen Stellen würden Erzieher nun auch häufiger den Arbeitsplatz wechseln. Die Träger hätten plötzlich mit Kündigungen zu tun, weil die Fachkräfte lieber einen Arbeitsplatz in Wohnortnähe suchen.

Der Bedarf steigt schneller an als die Zahl der jungen Berufseinsteiger

Der Mangel spitzt sich nach Auffassung der Gewerkschaft weiter zu. Um den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz einlösen zu können, werden in Berlin im Eiltempo Plätze ausgebaut. Insgesamt 19.000 Plätze müssen bis 2017 geschaffen werden. Nach Berechnungen der Gewerkschaft fehlen schon in zwei Jahren 5000 Kita-Erzieher. Die Senatsverwaltung für Bildung verweist darauf, dass viele zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen wurden. In den vergangenen sieben Jahren habe sich die Zahl der Auszubildenden an den Fachschulen verdoppelt.

Allerdings werden die Fachkräfte schneller benötigt als ausgebildet. Nach Einschätzung der Senatsbildungsverwaltung fehlen in diesem Jahr trotz der 1300 Absolventen an den Erzieherschulen 500 bis 700 Erzieher, um den Bedarf zu decken. Als Notmaßnahme werden Quereinsteiger, die berufsbegleitend eine Ausbildung machen, voll auf den Personalschlüssel angerechnet.

Allerdings ist vorgeschrieben, dass der Anteil der noch nicht ausgebildeten Kräfte eine bestimmte Grenze nicht überschreiten darf. Angesichts der Not wurde diese Grenze von 20 auf 25 Prozent ausgeweitet. Auch 2014 werde es noch Engpässe geben, heißt es in der Senatsverwaltung. Denn erst danach würden sich die 2012 neu geschaffenen Ausbildungsplätze auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen.

Kindergärten haben steigende Kosten für Stellenanzeigen und Jobmessen

Doch es sei sehr schwierig abzuschätzen, wie viele Erzieher nach der Ausbildung tatsächlich in die Kitas gehen, sagt Florian Hoyer, Kita-Referent des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Denn viele würden es vorziehen, weiter zu studieren oder in andere Bundesländer zu gehen. Denn angesichts der Bewerberknappheit „räubern“ manche Bundesländer in benachbarten Ländern, und kleine Gemeinden versuchten, Großstädten die Fachkräfte abzujagen, sagt Professor Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München.

Kindergartenbetreiber sagen, dass sie nun sehr viel mehr Geld als noch vor Jahren in Stellenanzeigen und Auftritte auf Ausbildungsmessen stecken müssten. Dabei sind die Budgets der Einrichtungen knapp bemessen. Einige gehen direkt zu den Erzieherfachschulen, um dort Eigenwerbung beim Nachwuchs zu machen und die Schulabgänger direkt unter Vertrag zu nehmen.

Auf dem privaten Arbeitsmarkt würde dieser Mangel dazu führen, dass die Löhne für die begehrten Kindergärtnerinnen nun deutlich steigen. Doch da die meisten Kindergärten von Kommunen betrieben oder unterstützt werden, funktioniert das nicht. Denn dort wird nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt oder sich zumindest daran orientiert.

Manche Betreiber werben ganz ungeniert in konkurrierenden Einrichtungen ab

„Selbst wir als gemeinnütziger Träger haben keinen Spielraum nach oben“, sagt Stefan Spieker, Geschäftsführer der Fröbel-Gruppe, die bundesweit 125 Einrichtungen hat. „Wir dürfen nicht mehr zahlen als die Kommune selbst in ihren Kindergärten. Sonst würden wir unsere öffentlichen Zuschüsse gefährden.“

Stattdessen, sagt Spieker, versuche sein Unternehmen, Bewerber mit Aufstiegschancen zu ködern. Durch die große Zahl an Einrichtungen in der Gruppe sei die Chance groß, zur Kita-Leiterin aufzusteigen. Trotzdem falle es schwer, genügend Erzieher zu finden. Die Stellen blieben auch manchmal zwei bis drei Monate unbesetzt.

Und in manchen Kommunen mache die Stadtverwaltung, die ja selbst Kitas betreibt, seiner Trägerorganisation unfaire Konkurrenz: „Es ist schon vorgekommen, dass Vertreter von Kommunen in den Kitas angerufen und versucht haben, uns Fachkräfte abzuwerben. So etwas gab es bis vor ein paar Jahren noch nicht.“

Ein Anwerbetrick ist die Eingruppierung in einen an sich zu hohen Tarif

Trotz der Vorgaben des öffentlichen Tarifrechts versuchen einige Kommunalvertreter, Kindergärtnerinnen mit mehr Geld zu locken. Sie bieten zum Beispiel an, die Erzieherinnen in höhere Lohngruppen einzuordnen als das Lebensalter und die Berufserfahrung eigentlich vorsehen.

Auch an anderen Stellen würden die öffentlichen Vorgaben für Löhne zurechtgebogen, sagt Norbert Hocke von der GEW. „Laut TVöD rutscht ein Angestellter, der seinen Arbeitsplatz wechselt, wieder zurück in eine niedrigere Lohnstufe. Seit 2009 ist es aber möglich, dass in Einzelfällen bei Arbeitsplatzwechsel die Stufe beibehalten werden kann – und das wenden einige Kommunen nun verstärkt an, wenn sie Geld haben.“ Manche Städte versuchen durch „Ballungsraumzulagen“ Kindergärtnerinnen zu gewinnen – auch wenn sie gar nicht in einem Ballungsraum liegen.

Auch der Wohnungsmarkt ist ein Thema. In Frankfurt am Main etwa betreiben mehrere Kindergartenträger Wohngemeinschaften für Kindergärtnerinnen, die sich entschließen, in die Großstadt zu ziehen. Die Stadt wirbt zudem mit Hilfe bei der Wohnungssuche und kostenlosen Betreuungsplätzen für die eigenen Kinder der Erzieherinnen.

Ein wenig Entspannung könnten Wiedereinsteigerinnen nach der Babypause bringen

Und sie bezahlt als eine der ersten Kommunen nach einer höheren Tarifgruppe. Statt 2220 Euro monatlich verdienen Einsteigerinnen gleich nach der Ausbildung nun 2330 Euro monatlich. Über diese Anhebung ärgern sich wiederum die Kommunen im Umland.

An den Erzieherschulen versucht man nun, dem Mangel mit „Wiedereinsteigerinnenkursen“ zu begegnen – Auffrischungsseminaren für ehemalige Kindergärtnerinnen, die nie aus der Babypause zurückgekehrt sind. „Wir versuchen, stille Reserven für den Arbeitsmarkt zu heben“, sagt Gerhard Brodbeck von den evangelischen Fachschulen in Stuttgart. Seit zwei Jahren biete die Schule diesen Kurs an. „Die Frauen für den Arbeitsmarkt zu reaktivieren, halte ich angesichts des Mangels für die Erfolg versprechendste Alternative.“

Gewerkschafter Hocke hofft, dass das Gerangel um die Erzieher vielleicht dazu beitragen wird, den Beruf in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuwerten. „Dieser Wettbewerb zwischen den Arbeitgebern könnte sich positiv auf das Ansehen auswirken – wenn er schon nicht dazu führt, dass die Löhne für Erzieherinnen insgesamt steigen“, sagt Hocke.

Eine generelle Anhebung der Gehälter ist nur eine Frage der Zeit

Erziehungswissenschaftler Rauschenbach kann sich vorstellen, dass eine Lohnanhebung der Erzieher in Rahmen des TVöD schon bald ansteht. „Die aktuelle Situation kann sich so zuspitzen, dass in fünf Jahren, spätestens 2020, ein höheres Lohnniveau unausweichlich wird.“

Auf Arbeitgeberseite sieht man die Entwicklung pessimistischer: „Der große Wettbewerb um die Fachkräfte führt zu hohen Fluktuationen“, sagt Spieker von der Fröbel-Gruppe. Für die Kinder sei das nicht gut: „Wenn sie immer schneller von Arbeitgeber zu Arbeitgeber wechseln, leiden die Bindungen der Kinder zu den Erzieherinnen – und damit die Qualität der Betreuung insgesamt.“