Provinz-Posse in der Hauptstadt: Das Eis bei „Hokey Pokey“ ist unfassbar beliebt. Selbst nach einer deftigen Preiserhöhung um ein Drittel bilden sich lange Schlangen. Nachbarn wollen das verbieten.

Was für eine Geschichte. Der Eisverkäufer Niko Robert hat den Erfolg seines Lebens. Obwohl sein Laden nur 22 Quadratmeter misst, sind hier drei Verkäuferinnen gleichzeitig damit beschäftigt, Waffeln mit Indischer Mango in die Mini-Marshmallows zu tauchen, Schalen mit Mohn-Marzipan vollzuladen und Erdbeere-Mascarpone-Eis mit Schokostreuseln zu garnieren.

Und die Leute reißen ihnen die süße Köstlichkeit aus der Hand, schon im dritten Jahr. Mit Kinderwagen und Bollerwagen und Dreirädern und allem Sperrigen, was so ein kinderreicher Bezirk zu bieten hat, verbarrikadieren sie den Bürgersteig, um an die Ware zu kommen. Seit Anfang März die Saison begann, hat Robert 30 Prozent mehr Kunden als im Vorjahr. Bis zu 300 Esser sind es an sonnigen Tagen. Bei dem stolzen Preis von 1,20 Euro pro Kugel müsste die Eispatisserie in der Stargarder Straße in Prenzlauer Berg eine Goldgrube gewesen sein.

Eispatisserie in Prenzlauer Berg schliesst erst einmal

Und was macht Robert? Der schließt erst einmal seinen Laden. Nach dem ersten großen Andrang seit dem vergangenen Wochenende standen Eishungrige drei Tage lang vergeblich vor dem „Hokey Pokey“. Erst am Freitag war wieder offen. Ein Schild an der Tür erklärt den Kunden, was passiert war, die Berliner Morgenpost berichtete darüber.

„Nachbarn und Anwohner fühlten sich von den riesigen Warteschlangen belästigt. Uns wurde jetzt mehrfach mit Strafanzeigen und zivilrechtlichen Entschädigungen gedroht. Im schlimmsten Fall dürfte das Ordnungsamt unseren Laden deshalb schließen. Das wollen wir natürlich nicht, und Ihr sicher auch nicht.“ Die Lösung: Damit weiterhin der Verkauf gesichert ist, wird der Preis um ein Drittel erhöht. 1,60 Euro kostet jetzt die Kugel. Eine großartigere Entschuldigung hat wohl noch nie ein Geschäftsmann abgegeben. Wir verlangen mehr Geld, damit wir nicht mehr so viele Käufer haben. Macht bitte mit, sonst machen wir zu.

Doch die neue Preispolitik schreckt die Kunden nicht ab. Im Gegenteil. Die stehen schon wieder Schlange. 1,60 Euro hin oder her. Auch wenn der Eisladen schräg gegenüber die Kugel für 90 Cent anbietet, es muss das „Hokey Pokey“ sein. Jetzt erst recht.

Alles ein gut geplanter PR-Gag?

Was ist hier los? Alles ein gigantisch gut geplanter PR-Gag? Bekannt ist das „Hokey Pokey“ nun auf jeden Fall in der ganzen Stadt. Auf der Facebook-Seite suchen Freunde der Eisdiele schon eifrig nach einem zweiten Standort für den Eisdealer. Der Antiquitätenladen Lychener Straße Ecke Stargarder Straße hätte doch gerade zugemacht? Hm, aber wahrscheinlich eher wegen der utopischen Mieterhöhung. Andererseits könnte man da gleich einen ganzen Eissalon aufmachen. Vielleicht doch eher Wisbyer Straße Ecke Neumannstraße?

Auf diesem Weg könnte Robert nicht nur ein zweites Standbein finden, er spart sich auch gleich die Werbung dafür. Spätestens mit dieser Aktion hat sich „Hokey Pokey“ einen Platz in jedem Reiseführer über Berlin gesichert. Jeder will das Eis probieren, dass so gut ist, dass es gleich verboten werden muss.

Gewerbetreibender Nachbar des „Hokey Pokey“ beschwert sich

Am Freitagnachmittag steht Niko Robert vor seinem Eisladen und sieht sehr zufrieden aus. Er hofft, dass sich durch den erhöhten Preis tatsächlich die Wogen glätten. Er könne den Ärger der Anwohner und Nachbarn verstehen, sagt er. Wenn man ihn reden hört, dann ist man bereit, ihm zu glauben, dass es wirklich um Straßenfrieden und nicht um Profit bei der Aktion geht. Tatsächlich liege, so bestätigte das Ordnungsamt, eine Beschwerde eines Anwohners und eines gewerbetreibenden Nachbarn vor.

Aber um zu verstehen, was wirklich hinter dem Streit steht, muss man etwas ausholen. Die Geschichte, die mit dem Streit um die Eisdiele endet, beginnt nämlich eigentlich mit einer Bank. Eines Morgens vor etwa zwölf Jahren stand sie auf einmal vor einem der Läden, die gerade in der Stargarder Straße aufgemacht hatten. Eigentlich sah sie ganz harmlos aus, eher gemütlich mit ihren massiven Betonpfeilern als Stütze und den dicken Holzplatten als Sitzfläche. Aber der Ordnungshüter auf seinem Kontrollgang war sofort alarmiert. Er verhörte Zeugen, er suchte Schuldige, aber vergeblich. Keine sagt, wer die Bank gebaut hat. Die Ladenbesitzer der Stargarder Straße sind eine eingeschworene Clique. Und mit der ersten Bank begann der gemeinsame Streit mit dem Ordnungsamt.

An der Stargarder Straße sprießten Bänke wie Pilze aus dem Boden

Der wurde nicht besser, als in den nächsten Nächten immer mehr Bänke wie Pilze aus dem Boden sprießten. Irgendwann stand vor fast jedem Laden eine. Alle in derselben Machart.

Das Ordnungsamt verteilte Auflagen, bekämpfte die Kissen, mit denen das Sitzen für Kunden gemütlicher gemacht wurde. Aber sie blieben doch machtlos gegen dieses öffentliche Straßenwohnzimmer, das sich Anwohner und Ladenbesitzer da einrichteten. Es wäre zu teuer gewesen, die Bänke abzureißen. Außerdem, wie sollte man so etwas dem Steuerzahler erklären? Wir verschwenden euer Geld, um etwas zu zerstören, das euch das Leben hier verschönt? Die Bänke blieben.

Auch vor dem Café „Meersalz“ stand so eine Bank. Bevor die Eisdiele eröffnete, saßen hier die Kunden vom „Meersalz“ und tranken Latte Macchiato zur Brombeertorte. Seit es das „Hokey Pokey“ gibt, nutzen die Bank nun Roberts Kunden für ihr Eiswunder. Die Schlange vor dem einen Laden blockiert die Tische vor dem anderen. Das „Meersalz“, das einst selbst die Straße bevölkerte, ist an diesem Freitag leer. Und das ist es, worum es eigentlich geht. Jemand aus der ersten Welle der Gentrifizierer verzeiht der zweiten nicht, dass sie mit denselben Methoden arbeiten, und das auch noch erfolgreicher. Die Inhaberin des „Meersalz“ soll diejenige sein, die sowohl als Anwohnerin als auch als Gewerbetreiberin das Ordnungsamt, eigentlich erklärter gemeinsamer Gegner aller Ladenbetreiber, nun auf den Plan gebracht hat, um den Konflikt zu lösen. Mit Gesetzesgewalt gegen die Beliebtheit der Konkurrenz vorgehen, ein ganz uneldoradohaftes Verhalten ist das.

Die Inhaberin des „Meersalz“ will nicht mehr über die Sache reden. In ihrem Schaufenster hängt neuerdings ordnungsgemäß die Genehmigung über ihre Nutzfläche. Aber Moment, wo ist ihre Bank geblieben? Da, wo sie vor Kurzem stand, liegen nur noch Pflastersteine. „Ach, die“, sagt die Café-Betreiberin lapidar. „Die musste weg, das ging nicht mehr.“