Kunstsammlung

Das Museum Berggruen öffnet wieder im Stüler-Bau

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Marcus Woeller

Foto: Adam Berry / Getty Images

Nach dem Umbau ist das Berliner Museum Berggruen mit seiner Sammlung der Klassischen Moderne wieder für das Publikum zugänglich.

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Einerseits die spätklassizistische Gardekaserne von Friedrich August Stüler, andererseits die existenzialistische Skulptur von Alberto Giacometti. Doch die „Große Stehende FrauIII“ hat einen nahezu perfekten Ort gefunden.

Über der schlanken, fast zweieinhalb Meter aufragenden Bronzeplastik schraubt sich das elegante Treppenhaus in die Höhe. Einem lichten Glasdach entgegen, überkrönt von einer Säulenrotunde, als sollte die Statue weiter in die Länge gezogen werden. Solche Schwindelgefühle der Moderne übertragen sich unmittelbar auf den Besucher, denn hier wird die Avantgarde gefeiert.

Auf vier Künstler des 20.Jahrhunderts hat sich Heinz Berggruen besonders konzentriert: Pablo Picasso, Paul Klee, Henri Matisse und eben Giacometti. Die vier Künstler sind Superstars der modernen Kunst. Sie stehen für grundlegende künstlerische Revolutionen, aber auch völlig unterschiedliche und höchst individuelle Herangehensweisen. Und in dieser Dichte waren sie in der Sammlung der Nationalgalerie nicht vertreten.

Wichtig für Charlottenburg

Das änderte sich 1992, als die Staatlichen Museen zu Berlin an den Privatsammler und Kunsthändler herantraten und ihm anboten, seine Schätze in einem der beiden Stülerbauten vis-à-vis dem Schloss Charlottenburg auszustellen. 1996 wurde der westliche Eckbau mit der Ausstellung „Picasso und seine Zeit“ eröffnet, die einen großen Teil der Sammlung Berggruens zeigte. Im Jahr 2000 konnten 165 Werke mithilfe des Bundes von der Nationalgalerie erworben werden. Doch die Sammlung wuchs weiter, und das Haus erwies sich schnell als zu klein. Nach dem Tod von Heinz Berggruen im Jahr 2007 wurde beschlossen, das Museum zu erweitern.

Das Land Berlin stellte das am Spandauer Damm benachbarte Kommandantenhaus zur Verfügung, und das Architekturbüro Kuehn Malvezzi wurde mit dem Umbau beauftragt. Verbunden durch einen gläsernen Riegel, wurde das Haus auf eine Ausstellungsfläche von 1250 Quadratmetern vergrößert. Am Freitagabend fand die Eröffnung statt, zu der auch der Sohn des Kunstsammlers, Oliver Berggruen, angereist war.

Berlin kann sich also freuen, die neben Paris, Barcelona und Málaga wohl bedeutendste Picasso-Sammlung in Europa nicht nur wieder zugänglich gemacht, sondern ausgebaut und mit der Unterstützung der Familie Berggruen nachhaltig an die Stadt gebunden zu haben. „Für Berlin als Kunststadt ist es doch toll, dass immer wieder solche wundersamen Dinge passieren,“ schwärmt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und stellt heraus, wie wichtig das Museum Berggruen auch für Charlottenburg ist.

„Es ist für uns ganz wichtig, dass wir neben der Zentralisierung und Profilierung der Museumsstandorte in der Mitte Berlins natürlich auch die anderen Positionen ausbauen. Charlottenburg war nicht nur während der deutschen Teilung ein wichtiger Standort mit der Nofretete und den archäologischen Sammlungen, die auf die Museumsinsel abgewandert sind. Er hat eine bemerkenswerte Transformation durchgemacht von einem Quartier der Antike zu einem Quartier der Moderne.“ Den Anstoß dazu aber habe Heinz Berggruen gegeben.

Und dessen Lieblingsmodernisten, nämlich Pablo Picasso, wird das Museum auch in besonderer Weise gerecht. Stärke der Sammlung ist weniger der Besitz herausragender Solitärwerke, sondern die Konzentration auf die gesamte Entwicklung dieses Ausnahmekünstlers des 20.Jahrhunderts. Kaum einer hat so viele ästhetische Haken geschlagen. Nicht etwa, weil er in künstlerische Sackgassen abgebogen wäre, sondern weil ihm eine Richtung nie gereicht hat. Der von ihm erfundene Kubismus erklärt somit auch seine Haltung: Eine Perspektive reicht nicht.

Im Stülerbau ist Picasso nun der alleinige Hausherr. Und „Picassos Ankunft in Paris“ markiert den Anfang einer Chronologie von 70 Jahren Schaffenskraft, die Berggruen als Sammler verfolgt hat. Auf der kleinen Skizze, die ihn mit Stock und Zeichenblock am Ufer der Seine zeigt, ist allerdings noch nicht auszumachen, was in Picasso steckt. Ein Jahr später befindet er sich schon mitten in der Blauen Periode, der ersten der vielen Phasen, die Picasso künstlerisch durchlebte. Als Hauptwerk dieses melancholischen Blicks durch die blaue Brille kann man ein Bildnis des Dichters Jaime Sabartés betrachten, eines Freundes aus Katalonien, der kurz vor seiner Abreise aus Frankreich recht mutlos durch seinen Kneifer schaut.

Zwei Helden der Moderne

Ehe sich beide 35 Jahre später wiedersehen sollten, hatte Picasso dann Karriere gemacht. Seinen Parforceritt durch Formen und Stile zeichnen die vielen kleinen Kabinette im Stülerbau nach. Sie präsentieren ihn als analytischen wie synthetischen Kubisten, der lustvoll zertrümmert, was er sieht, und es umso besser gelaunt wieder zusammensetzt – unter Missachtung aller gängigen Wahrnehmungsregeln, versteht sich.

Anfang der 1920er-Jahre besinnt er sich auf einen sachlichen Neoklassizismus mit prallen Strandszenen und drallen Akten. Bevor ihm dies aber zu gefällig wird, zerlegt er die Formen wieder, entdeckt den Surrealismus und zeigt eine Formvielfalt, die unter dem Einfluss des sich in Europa abzeichnenden Totalitarismus immer aggressiver wird. Spätestens in den 1940er-Jahren etabliert sich Picasso dann als Universalkünstler, der alles kann und vor allem alles gleichzeitig, der sich selbst stilisiert, aber immer wieder aus dem Rahmen des eigenen Ruhms auszubrechen weiß.

Viel subtiler und nachdenklicher, manchmal auch versponnen und esoterisch stellt sich zur gleichen Zeit Paul Klee dar. Berggruens zweiter Held der Moderne, auf dessen Werk sich seine Sammlung stützt. War Klee früher nur im Dachgeschoss zu finden, hat er mit der Erweiterung des Museums praktisch ein eigenes Haus bekommen. Als Hauptmieter in der Kommandantur muss er nur einige Räume an Matisse und Cézanne abgeben, während auch hier die Eingangssituation für Skulpturen von Giacometti reserviert ist.

Picasso und Klee sind sich nur einmal begegnet. Freunde wären sie wohl auch nicht geworden, aber sie haben sich gegenseitig geachtet. Im Museum Berggruen erscheinen sie nun wie Antipoden. Der eine kann sich mit seiner kraftmeiernden Energie in den noch relativ variablen Räumen des Stülerbaus breitmachen. Der andere wirkt mit den mal intellektuellen, mal fantastischen Einfällen beinah eingesperrt in den kleinen Räumen. Den ehemaligen Bauhauslehrer hier zu kasernieren, schafft zwar viel Raum für Picasso, engt seinen Kollegen aber auch stark ein.

Die Kuratorin der Nationalgalerie für das Museum Berggruen, Kyllikki Zacharias, betont jedoch: „Wir wollten Klee und Picasso gar nicht mischen, weil sie auch von Heinz Berggruen ganz unterschiedlich gesammelt wurden: Picasso chronologisch über viele Jahrzehnte und Klee mit einem Akzent auf die 1920er-Jahre.“ Die Privatsammlung soll für sich selbst stehen und ihren intimen persönlichen Charakter behalten. „Aber wir haben auch einiges geändert. Picasso hat einen völlig neuen Rhythmus bekommen, und auch Klee wurde anders gruppiert und steht jetzt wie eine eigenständige Säule neben ihm.“

Und endlich gibt es auch Räumlichkeiten für Wechselausstellungen. Eine Kabinettschau illustriert das Thema Zirkus und spürt Gaukler, Narren und Clowns im Werk von Picasso und Klee auf, zieht aber auch historische Grafiken von Watteau aus dem Kupferstichkabinett oder die Leihgabe einer Harlekinbüste von Picasso aus der Kunsthalle Bielefeld heran. Eine so herausragende Sammlung wie die von Heinz Berggruen verdient auch eine kontinuierliche Auseinandersetzung, statt sie nur als Dauerausstellung zu konservieren.

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