In eigener Sache

Durchsuchung bei der Berliner Morgenpost

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Foto: BM

In der vergangenen Woche durchsuchte die Staatsanwaltschaft Redaktionsräume der Berliner Morgenpost. Die Fakten zum Fall.

Am vergangenen Mittwoch haben Beamte der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts die Privatwohnung und den Arbeitsplatz eines Chefreporters der Berliner Morgenpost durchsucht. Dem Reporter wird vorgeworfen, er habe einen Polizeibeamten bestochen.

Die Berliner Morgenpost wehrt sich gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und lässt sich durch den Berliner Rechtsanwalt Professor Alexander Ignor vertreten. Seiner Einschätzung nach greift die angeordnete Durchsuchung „tief und schwerwiegend“ in das Grundrecht der Pressefreiheit ein. Auch der Chefredakteur der Berliner Morgenpost, Carsten Erdmann, sagt: „Die Durchsuchung in der Redaktion ist grob unverhältnismäßig und rechtswidrig.“

Daher, in eigener Sache, die Fakten zum Fall.

Mitte der 90er-Jahre verschwand der zwölfjährige Manuel Schadwald aus Berlin-Tempelhof. Jahrelang gab es Gerüchte, dass er Opfer von Pädophilen geworden sein könnte. Immer wieder tauchte in diesem Fall auch der Name des belgischen Kinderhändlers Marc Dutroux auf. Der Chefreporter der Berliner Morgenpost recherchierte und berichtete zusammen mit einem Kollegen über das Verschwinden des Berliner Jungen.

Vor gut zwei Jahren meldete sich plötzlich ein neuer Informant. Es ergab sich erneut eine Spur, die nach Holland führte. Im Frühjahr 2011 reisten die beiden Journalisten nach Amsterdam. Der Verlag bestand darauf, dass auf der Recherchereise ein besonderer Sicherheitsstandard eingehalten wurde. Denn im Umfeld des Kinderhändlerrings von Marc Dutroux starben schon mehrere Zeugen. Neben zwei Personenschützern einer privaten Sicherheitsfirma wurde auch ein Sicherheitsexperte des Berliner Landeskriminalamts engagiert. Diesen kannte der Chefreporter seit vielen Jahren persönlich und vertraute ihm daher besonders. Der Beamte begleitete die Reporter außerhalb seiner Dienstzeit nach Amsterdam. Dafür erhielt der Polizist einen Tagessatz von 500 Euro. Solche Tagessätze gelten in der Sicherheitsbranche als üblich. Nach Angaben der Berliner Kuhr Security, die auch Personenschutz übernimmt, betragen die Kosten bei Auslandseinsätzen sogar deutlich mehr. Die Recherchen in Amsterdam dauerten vier Tage. Hinzu kamen Kosten für Flugtickets, Mietwagen und Hotel in Höhe von gut 1000 Euro. Damit belief sich die Gesamtsumme auf gut 3000 Euro.

In Amsterdam stießen die Reporter auf Hinweise, dass es ein Kapitalverbrechen gegeben haben könnte. Doch es gab nur eine Quelle, zu wenig für eine seriöse Berichterstattung. Die Hinweise wurden später der Berliner Polizei zur weiteren Prüfung übergeben. Dafür trafen sich die Reporter mit dem damaligen Leiter der Pressestelle Frank Millert und dem Dezernatsleiter für Sexualdelikte, um die Rechercheunterlagen auszuhändigen. Darüber berichtete in dieser Woche auch die „Berliner Zeitung“. Das Material soll danach an eine Mordkommission und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden sein. Merkwürdig: Bei der Staatsanwaltschaft will man das Material nicht kennen. Pressesprecher Martin Steltner sagte am vergangenen Montag: „Die von Ihnen angeführte Meldung der Berliner Zeitung kann ich nicht bestätigen.“ Unklar ist damit, was aus den Unterlagen geworden ist.

Die Staatsanwaltschaft hingegen scheint bei der Fahrt nach Amsterdam von einer Vergnügungsreise auszugehen und leitet daraus den Vorwurf der Bestechung ab. Das der Berliner Polizei übergebene Material lässt aber eindeutig einen anderen Schluss zu: Die Reise war eine Recherchereise – mit persönlichem Risiko für die Reporter der Berliner Morgenpost.

Nach der Übergabe der Unterlagen an die Berliner Polizei passierte lange Zeit nichts. Bis der Beamte, der die Reporter in Amsterdam begleitet hatte, Mitte dieses Jahres in Verdacht geriet, eine geplante Razzia im Rockermilieu an Journalisten verraten zu haben. Die Polizeiführung leitete ein Verfahren wegen Geheimnisverrats an. Auf dem Computer und auf dem Handy des Beamten fanden die Ermittler eine Rechnung für die Recherchereise nach Holland in Höhe von gut 3000 Euro und die Telefonnummer des Morgenpost-Reporters.

Die Rechnung war für die Staatsanwaltschaft der Hauptgrund für den Vorwurf der Bestechung. Denn für Informationen darf kein Geld an Behördenmitarbeiter gezahlt werden. Das wäre Bestechung.

Um 6.55 Uhr am vergangenen Mittwoch begannen die Ermittler ihre Arbeit mit der Durchsuchung der Privatwohnung des Chefreporters. Eine Nebenrolle bei den Vorwürfen spielt auch eine SMS, in der sich der Polizist bei dem Reporter für 100 Euro bedankte. Dabei handelte es sich um eine Auslage für zwei Jacken, die der LKA-Beamte in einem Polizei-Shop für den Reporter und einen weiteren Kollegen erworben hatte. Dort können Polizisten einkaufen. Der Morgenpost-Reporter gab ihm später das Geld für die Jacken zurück.

Um 8.30 Uhr begann auch die Durchsuchung in den Büroräumen im Verlagshaus der Axel Springer AG.

Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) informierte zeitgleich mit dem Start der Durchsuchung den Chefredakteur der Berliner Morgenpost, Carsten Erdmann. Heilmann sollte im Auftrag des ermittelnden Staatsanwalts zu einer Deeskalation der Situation beitragen, sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung gegenüber der dpa. Nach Eintreffen der Ermittler wurden ihnen die gesuchten Rechnungen sofort ausgehändigt, um so den Vorwurf zu entkräften, bei der Recherchereise habe es sich um eine Bestechung gehandelt. Dennoch bestand die Staatsanwaltschaft weiter auf der Durchsuchung. Die Beamten beschlagnahmten weitere Unterlagen, darunter sogenannte „Zufallsfunde“, also Unterlagen, die nichts mit den aktuellen Vorwürfen zu tun haben. Dazu gehörte auch Material zu Kriminalfällen, mit denen sich der Chefreporter intensiv beschäftigt hatte.

Grundlage für diese Durchsuchungen waren zwei Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten: einer für die Privatwohnung und das Büro des beschuldigten Chefreporters und einer betreffend die gesamte Ullstein GmbH, die eine 100-prozentige Tochter der Axel Springer AG ist und in der die Berliner Morgenpost erscheint. Damit hätten die Ermittler Zugang zu allen Büros der Ullstein GmbH gehabt.

Die Axel Springer AG wies den Vorwurf der Bestechung entschieden zurück und beauftragte Professor Ignor, der bereits das Magazin „Cicero“ nach einer Redaktionsdurchsuchung vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich vertreten hatte, mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Der Verlag, ebenso wie zuvor schon der beschuldigte Reporter, legte Beschwerde beim Landgericht Berlin ein. Bis die Richter darüber entschieden hätten, würden beschlagnahmte Unterlagen und Datenträger vorerst nicht weiter ausgewertet, sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung.

Professor Ignor macht deutlich, welche Folgen eine solche Durchsuchung für die tägliche Arbeit von Journalisten haben kann. „Die Durchsuchung der Räume eines Zeitungsverlags hat regelmäßig eine Störung des Vertrauensverhältnisses des Verlages und seiner Journalisten zu ihren Informanten zur Folge, die befürchten werden, dass ihre Identität anlässlich einer solchen Durchsuchung aufgedeckt werden könne.“

Professor Ignor verweist auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Danach habe eine uneingeschränkte Durchsuchung eine „erhebliche einschüchternde Wirkung“. Denn der Staat könne sich damit einen umfassenden Einblick in die inneren Vorgänge einer Redaktion verschaffen. Dadurch könne die Identität aller Redaktionsmitarbeiter einschließlich ihrer Arbeitsbereiche aufgedeckt werden. Eine solche einschüchternde Wirkung könne laut Bundesverfassungsgericht geeignet sein, die Bereitschaft der Redaktion erheblich zu beeinträchtigen, auch in Zukunft staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand kritischer Recherchen und Berichterstattung zu machen. Aber diese kritische Berichterstattung gehört zu den Grundlagen der Demokratie.

Auch von anderer Seite gab es heftige Kritik am Vorgehen der Berliner Staatsanwaltschaft. „Pressefreiheit und Quellenschutz stehen höher als solche Verdächtigungen“, sagte der Landesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Alexander Fritsch.

Der Innenexperte der Grünen, Benedikt Lux, sagte der „Berliner Zeitung“: „Die Staatsanwaltschaft durchsucht hier aus einem nichtigen Anlass Wohnung und Büro eines Journalisten. Eine Bestechungstat scheint fernliegend, da die Gegenleistung klar im Auftrag des Bodyguards liegt. Es entsteht der Eindruck, als würde die Staatsanwaltschaft Journalisten, die brisante Informationen haben, damit gezielt abschrecken wollen. Alles in allem scheinen die Nerven wegen der verratenen Rocker-Razzia blank zu liegen.“

Am Mittwoch will sich der Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit den Durchsuchungen beschäftigen. Die Recherchen der beiden Morgenpost-Reporter über das Verschwinden von Berliner Kindern im Kinderpornomilieu gehen weiter.

28. August 2015: Das Bundesverfassungsgericht hat die Durchsuchung als verfassungswidrig eingestuft: "Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit zwei heute veröffentlichten Beschlüssen entschieden und Verfassungsbeschwerden eines Journalisten sowie eines Zeitungsverlags gegen Durchsuchungsmaßnahmen stattgegeben."

Beschluss 1 und Beschluss 2