Dieter Faulenbach da Costa kritisiert zahlreiche Planungsfehler beim neuen Großflughafen BER. So brauche man mehr Check-in-Schalter.

Das Debakel um den künftigen Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg (BER) nimmt immer größere Ausmaße an. Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft kommt am heutigen Freitag erneut zusammen. Weil zahlreiche Probleme etwa beim Brandschutz im Terminal noch immer nicht gelöst sind, wird das Gremium unter Vorsitz des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) die zuletzt für den 17. März 2013 angekündigte Eröffnung des BER nochmals verschieben, voraussichtlich um mehr als sieben Monate auf Ende Oktober nächsten Jahres. Experten wie der Flughafen-Planer Dieter Faulenbach da Costa hatten bereits vor Monaten begründete Zweifel geäußert, ob eine Eröffnung bereits im Frühjahr 2013 möglich sein wird. Morgenpost-Redakteur Thomas Fülling sprach mit dem Frankfurter Architekten, der an mehr als 45 Flughafen-Projekten beteiligt war, über den neuen Zeitplan zur Fertigstellung des BER und die damit verbundenen Probleme.

Morgenpost Online: Herr Faulenbach da Costa, die Eröffnung muss erneut verschoben werden. Überrascht Sie das?

Dieter Faulenbach da Costa: Der im Frühsommer benannte März-Termin war von Anfang an illusorisch. Schon damals war erkennbar, dass das Terminal erst zum Ende des Jahres baulich fertiggestellt sein kann. Und erst in einem fertiggestellten Terminal kann man Inbetriebnahme-Szenarien erproben. Solche Erprobungsphasen dauern nach internationalen Erfahrungen wenigstens sechs Monate, besser aber ein Jahr. Bei einer Testphase von sechs Monaten macht es aber keinen Sinn, mitten im Hochbetrieb die Flughäfen umziehen zu lassen. Das macht man sinnvollerweise beim Wechsel der Airlines zum Winterflugplan Ende Oktober.

Morgenpost Online: Beraten wird nun über eine Inbetriebnahme des BER am 27. Oktober. Wäre das denn endlich ein realistischer Eröffnungstermin?

Dieter Faulenbach da Costa: Unter der Voraussetzung, dass wir es mit einem normalen neuen, zukunftsorientierten Flughafen zu tun hätten, würde ich sage ja. Aber das ist leider nicht der Fall. Ich habe mal als Architekt gelernt, dass die Form der Funktion folgt. Beim BER ist es nach der Planung des Architekten Meinhard von Gerkan genau umgekehrt: Da folgt die Funktion der Form. Das macht die Brandschutzanlage so schwierig. Entgegen der Gesetze der Physik soll hier der Rauch nicht nach oben, sondern nach unten geleitet werden. Nur, damit ein Dach, das keiner sieht, nicht seiner Schönheit beraubt wird. Dass so eine Anlage wirklich störungsfrei und zuverlässig funktioniert, ist eine große Herausforderung an alle Beteiligten und mit hohem finanziellen Aufwand verbunden.

Morgenpost Online: Ist denn der Brandschutz das einzige Problem bei der Fertigstellung des BER?

Dieter Faulenbach da Costa: Nein. Es kommt dazu – und das ist das Entscheidende –, dass die Kapazitäten für die Passagierabfertigung viel zu klein bemessen sind. Das, was am BER an Check-In- und Gepäckausgabe-Kapazitäten zur Verfügung gestellt wird, ist weniger, als man derzeit auf den Berliner Flughäfen für 24 Millionen Passagiere hat und mit einem schlechten Servicestandard abfertigt. Ich hab mir zum Vergleich mal den Flughafen in Frankfurt am Main angesehen. Der hat zwar 54 Millionen Passagiere im Jahr, davon sind aber mehr als die Hälfte Umsteige-Passagiere, die mit dem Check-in und der Gepäckausgabe nichts zu tun haben. Der Flughafen Frankfurt hat 27 Millionen Originär-Passagiere, also genau die Zahl an Passagieren, für die der BER bei seiner Eröffnung ausgelegt sein soll. Frankfurt hat 383 Check-In-Counter und 38 Gepäckausgabebänder. München hat für knapp 20 Millionen originäre Passagiere um die 330 Check-In-Counter und 21 Gepäckausgabebänder. Am BER gibt man sich zufrieden mit 96 Abfertigungsschaltern und acht Gepäckausgaben. Das kann nur im Chaos enden. Deshalb ist das Inbetriebnahme-Szenario Herbst 2013 nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber doch schon sehr ambitioniert.

Morgenpost Online: Bietet eine noch spätere BER-Eröffnung nicht auch die Chance, die von ihnen befürchteten Engpässe durch einige bauliche Veränderungen noch zu beseitigen?

Dieter Faulenbach da Costa: Einige Veränderungen reichen nicht. Da müssen mindestens weitere 20 Gepäckausgabebänder und etwa 150 Check-in-Counter hinzu kommen. Doch wo? Neben dem Terminal sind die Flächen durch unsinnig angeordnete Parkhäuser verbaut. Auch ein Mietwagencenter plant man nicht am Ende sondern am Anfang der Flughafenvorfahrt direkt nach dem Verlassen der Autobahn. Die Mietwagennutzer werden ihr Auto einfach auf der Vorfahrt abstellen. Auf der anderen Seite ist der Busbahnhof, auch der steht im Weg. Es gibt keine Möglichkeiten, die Kapazitäten für den Check-In und die Gepäckausgabe und ohne Abbruch gerade fertiggestellter Gebäudekurzfristig zu erweitern. Doch wer das Terminal so wie es jetzt ist im Herbst 2013 in Betrieb nehmen will, wird das Chaos auslösen.

Morgenpost Online: Kritiker warnen, auch auf der Luftseite reichen die Kapazitäten nicht aus…

Dieter Faulenbach da Costa: Ja, auch die Vorfeld-Flächen, wo die Flugzeuge geparkt werden, sind zu klein. Die Flughafengesellschaft sagt selbst, dass damit etwa 260.000 bis 280.000 Flugbewegungen im Jahr möglich sind. Aber man hat jetzt schon in Berlin 250.000 Flugbewegungen. Damit weisen auch die Flugzeugabstellflächen ebenfalls keine Perspektiven für ein kurzfristiges Wachstum auf. Ein kardinaler Fehler, der zu erheblichen Problemen im laufenden Betrieb führen wird.

Morgenpost Online: Und all das lässt sich nicht innerhalb eines Jahres noch reparieren?

Dieter Faulenbach da Costa: Um all diese Probleme zu lösen, müsste die Flughafengesellschaft weitere zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen. Die kann sie aber nicht innerhalb eines Jahres verbauen. Vielleicht bei den Betonflächen, aber nicht im Hochbau. Das heißt, man muss mit anderen Lösungen arbeiten.

Morgenpost Online: Nun gibt es bei der Flughafengesellschaft die Überlegung, für neue Abfertigungskapazitäten ein Parkhaus abzureißen.

Dieter Faulenbach da Costa: Das ist schon sehr bemerkenswert, wenn man bereits vor der Eröffnung eines neuen Flughafens etwas neu Gebautes wieder abreißt. Gedacht wird wohl an das Parkhaus 3. Aber das steht an der völlig falschen Stelle. Weg müsste eigentlich das Parkhaus 1. Diese Fläche ist in allen Plänen als Erweiterungsfläche für das Terminal vorgesehen. Und das Mietwagenrückgabecenter vor dem Südpier muss weg. Dort könnte man Problemlösungen schaffen – aber das bekommen sie in einem Jahr nicht mehr hin. Benötigt werden mindestens 20 weitere Gepäckausgabestellen und 150 zusätzliche Check-In-Counter, die an die Gepäckförderanlage angeschlossen werden müssen. Doch da gibt es aber schon das nächste Problem: Die heutige Gepäckförderanlage im Terminal ist eingemauert und nicht erweiterungsfähig.

Morgenpost Online: Aufgrund der späteren Eröffnung rechnen die Flughafen-Gesellschafter mit Mehrkosten von 1,2 Milliarden Euro. Der Finanzbedarf soll auch durch die nochmalige Terminverschiebung nicht größer werden. Ist diese Annahme realistisch?

Dieter Faulenbach da Costa: Die 1,2 Milliarden Euro werden erst einmal benötigt, um die Fehler der letzten Monate zu bezahlen. Um die Kapazitätsprobleme, die ich benannt habe, zu beseitigen, kommen noch einmal 1,5 bis zwei Milliarden obendrauf. Damit ist man aber noch nicht am Ende. Es werden weitere Investitionen gebraucht, um die Zukunftsfähigkeit des Flughafens sicher zu stellen. Das läuft schließlich darauf hinaus, dass die Eigentümer sechs bis sieben Milliarden Euro investiert haben. Dafür hat man am Ende einen sauteuren Flughafen, der nicht erweiterbar und damit nicht zukunftsfähig ist. Der Flughafen hat, so wie er jetzt gebaut wurde, keine Perspektive, und das ist das Dilemma.

Morgenpost Online: Hätte der Aufsichtsrat dieses Grundproblem nicht erkennen müssen?

Dieter Faulenbach da Costa: An dieser Stelle hat der Aufsichtsrat bei der Formulierung der Zukunftsperspektiven und deren Durchsetzung bei der Planung und beim Bau eindeutig versagt.