Unbekannte haben in der Nacht zum Sonntag in Kreuzberg einen Anschlag auf einen Streifenwagen der Polizei verübt. Dabei schleuderten sie Feuerwerkskörper in den Wagen. Die beiden Beamten blieben unverletzt. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) verurteilte „diese heimtückische und skrupellose Tat“. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach von einem „gezielten Tötungsversuch von Polizisten“, wie ihr Berliner Geschäftsführer Klaus Eisenreich sagte. Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.
Der Polizeikommissar und der Polizeiobermeister suchten gegen 22.10 Uhr nach einem Raubüberfall die Umgebung der Reichenberger Straße ab. An der Mariannenstraße mussten sie an einer roten Ampel stoppen, vor ihnen stand ein weiteres Fahrzeug. In diesem Moment kam es zu dem Anschlag. Mehrere Vermummte seien auf das Fahrzeug zugestürmt und hätten die Heckscheibe mit einem Pflasterstein zerstört, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich gegenüber Morgenpost Online. Einer der Täter habe die Autotür aufgerissen und „bengalisches Feuer“ ins Fahrzeuginnere geworfen. Dadurch sei im Bereich der Rücksitze Feuer ausgebrochen. „Gleichzeitig wurden zahlreiche Steine gegen das Auto geschleudert“, sagte Stefan Redlich. Zudem sei an der Fahrertür ein Molotowcocktail explodiert, die Unbekannten sollen das Fahrzeug mit Steinen regelrecht eingedeckt haben. Spurensicherungsexperten sollten später mehr als 20 Stück davon am Tatort sichern.
Mehrere Brandsätze gefunden
„Ich habe großen Respekt davor, wie tapfer sich diese beiden Beamten, die nicht mit einer solchen Gewaltattacke rechnen konnten, aus dieser Situation befreit haben“, sagte Redlich. „Die Kollegen konnten nicht nach vorn entkommen, sondern mussten erst zurücksetzen, während ihr Wagen innen wie außen brannte – und zudem weiterhin Steine einschlugen.“ Der Qualm im Wageninneren sei so dicht gewesen, dass die Beamten zeitweise das Funkgerät nicht hätten erkennen können. Trotzdem sei es den beiden Polizisten gelungen, bis zur nächsten Tankstelle zu fahren und dort die Flammen zu löschen. Die Ermittler gehen von einem vorbereiteten Angriff aus. Dafür würden die mitgeführten Waffen sprechen. Bei der Untersuchung des Tatortes sind mehrere Brandsätze gefunden worden.
Der Innensenator reagierte bestürzt auf den Zwischenfall. „Ich frage mich, wie hasserfüllt einige sein müssen, um so einen feigen Überfall zu begehen. Das ist eine Dimension, die mich fassungslos macht. Ich bin froh, dass meinen Beamten nichts Schlimmeres passiert ist.“ Die Täter hätten es gezielt auf die Gesundheit und das Leben von Menschen abgesehen. GdP-Vertreter Eisenreich hofft, dass die Täter gefasst werden. „Eigensicherung und Vorsicht sind in dieser Stadt rund um die Uhr unabdingbar.“ Ein ranghoher Polizeiführer geht davon aus, dass viele militante Extremisten wütend darüber sind, am 1. Mai keine schlimmeren Ausschreitungen angezettelt zu haben und deshalb jetzt gezielt auf die „Jagd“ gingen. Bereits vor dem 1. Mai hatte im Internet gestanden, dass der Monat „viele Tage“ habe. In Kreuzberg hatten sich in den vergangenen Wochen verstärkt Autonome und Anwohner gegen eine befürchtete Gentrifizierung ihres Bezirks gewehrt. Die Proteste gegen das geplante Kunstlabor Guggenheim Lab waren so vehement, dass diese Denkfabrik nun in Prenzlauer Berg statt in Kreuzberg aufgebaut wird.
Hass in Kreuzberg
Außer der Polizeistreife, die in der Nacht zu Sonntag attackiert wurde, wurden am Heinrichplatz gegen 22 Uhr aus einer 30-köpfigen Personengruppe heraus Feuerwerkskörper gezündet und in der Mariannenstraße Baustellenbaken auf die Fahrbahn gestellt.
Was der von Henkel beschriebene Hass einiger Menschen momentan in Kreuzberg anrichtet, hat die 28-jährige Polizeiobermeisterin Regina, die anonym bleiben möchte, selbst erfahren müssen. Fast an gleicher Stelle, nur ein paar Tage zuvor während der Mai-Demonstrationen. Dabei wurde sie von einer Flasche ins Gesicht getroffen, verlor das Bewusstsein und drei Zähne. Für die nächsten sechs Monate ist sie krank geschrieben. Wenn nicht länger. „Eigentlich“, sagt die 28-Jährige, „war es fast schon friedlich gewesen gegen zwei Uhr. Wir liefen in Dreier-Reihen durch die Mariannenstraße. Ich war an vorletzter Stelle in der Mitte, um uns herum feiernde Menschen, keine Flaschen, keine Böller, keine Beleidigungen.“ Deshalb habe sich die durch sechs Einsätze „Mai-erfahrene“ Beamtin auch getraut, kurz das Visier ihres Helms zu liften, um einen Schluck Wasser zu trinken. „Ich sah die Flasche kommen. Sie war einen Meter von mir entfernt, dann gab es einen furchtbaren Schlag.“ Die 28-Jährige habe sich ein paar Meter zu einem Kollegen geschleppt und sei vor ihm zusammengebrochen. „Ich hatte ein Dröhnen im Kopf, als wäre ein Böller neben mir explodiert. Alles war taub, wie in Watte gepackt.“ Andere Bereitschaftspolizisten hätten einen Verteidigungsring um sie gebildet, erzählt die Polizistin. „Sie sprachen mit mir, dass ich ruhig bleiben solle und dass Hilfe unterwegs sei.“ Sie habe nach unten geschaut und eine Lache ihres eigenen Blutes gesehen, in der Teile ihrer Zähne lagen. „Und ich hörte die Jubelschreie der Menschen, den Beifall, den sie klatschten, weil ich da am Boden lag.“ „Eine Bullensau“ habe es getroffen, wie sie noch gehört habe, dann sei sie in Ohnmacht gefallen
Junge Polizistin erzählt von Angriff
Vier Tage später berichtet sie Morgenpost Online von dem Einsatz. Beim Gespräch ist die noch leicht geschwollene Lippe zu sehen, die vor wenigen Tagen noch drei Mal so groß war. „Der Gesichtschirurg hat gut gearbeitet“, sagt die 28-Jährige und zeigt auf die kleinen Narben unterhalb der Nase. „Man sieht kaum etwas.“ Die Zähne seien aber nur geborgt, eine Schiene mit drei künstlichen verberge die schweren Verletzungen, die noch weitere Operationen nötig machen würden. Hass empfinde sie nicht, sagt die junge Polizistin. „Ich würde nur besser schlafen können, wenn der Täter gefasst wäre.“