Berlin ist Einwanderungsstadt, auch für Tiere. Bis zu 30.000 Tierarten leben bereits hier. Sogar die Kanzlerin bekommt unangemeldeten Besuch.
Vereinfacht kann man sagen, der Hase ist ein Ossi und das Wildkaninchen eher Wessi. 22 Jahre nach Mauerfall gibt es in Berlin wieder Bereiche, wo eine unsichtbare Demarkationslinie durch die Stadt verläuft. Zum Beispiel bei Hase und Wildkaninchen. Letzeres tummelt sich in Größenordnungen in Parks wie dem Tiergarten, Vorgärten oder auf Grünstreifen vorwiegend in den Westbezirken der Bundeshauptstadt und sorgt dort je nach Interessenlage für großes Entzücken oder großen Ärger beim jeweiligen Betrachter.
Seit etwa 15 Jahren beobachten Naturschützer nun auch den Vormarsch des Feldhasen in die Bundeshauptstadt. Er kommt von Osten und richtet sich in den Ostberliner Stadtbezirken ein. Besonders zwischen den Wohnsilos der Plattenbaubezirke Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg ist er in den frühen Morgenstunden zu beobachten, berichtet der Säugetierexperte des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Dieter Köhler. Vereinzelt wagten sich Tiere auch bereits in das Stadtzentrum vor. Erste Exemplare wurden im Tiergarten und am Berliner Hauptbahnhof gesichtet.
Konkrete Zahlen über die Bestände von Wildkaninchen und Hase in Berlin nennen die Experten nicht. Das lasse sich nicht seriös erfassen, heißt es beim Naturschutzbund. Schätzungen gehen von Abertausenden Wildkaninchen und ein paar hundert Hasen aus.
„Mittlerweile ist der Feldhase in den Berliner Wohnsiedlungen eher zu beobachten als im angrenzenden Land Brandenburg“, sagt Köhler. Was ihn zwischen Wohnbebauung, Parkplätzen und Ausfallstraßen zieht, findet er auf dem durch Monokultur geprägtem Land häufig schon lange nicht mehr vor: Eine vielfältige Flora mit großen Grün- und Brachflächen, die seit Jahrzehnten weder Dünger noch Gülle gesehen haben und deshalb abwechslungsreiche, saftige Nahrung bieten. Auch muss der Hase, der seine Brut in einem Versteck auf dem Boden aufzieht, hier nicht fürchten, dass die Jungen von einem plötzlich auftauchenden Traktor überfahren werden.
Zudem ist der „Feinddruck“, wie es so schön heißt, in der Stadt geringer. Es gibt keine Jäger, die ihm nachstellen, und seine natürlichen Feinde Fuchs, Elster und Nebelkrähe sind durch das reichhaltige Nahrungsangebot in der Stadt korrumpiert. Warum mühsam einen Hasen jagen, wenn der Mülleimer um die Ecke leckerste Dinge anbietet?
Berlin ist mit 20.000 bis 30.000 Tierarten mittlerweile die artenreichste Großstadt Europas. Hier lebt Tür an Tür mit dem Menschen alles vom Waschbär über den Falken bis zum Wildschwein und Biber. Von den Millionen Ratten ganz zu schweigen.
Die Zahl der Füchse in der Bundeshauptstadt wird derzeit auf rund 1.600 geschätzt, Tendenz steigend. Wer abends in der Berliner Innenstadt spazieren geht, kann sie leicht auf der Straße antreffen. Sie sind nicht scheu, aber vorsichtig und sehen zumeist sehr gepflegt aus.
Der prominenteste unter ihnen ist der sogenannte Kanzleramts-Fuchs. Sein Revier ist das Zentrum der Macht, seine Nachbarin heißt Angela Merkel. Hin und wieder legt er sich in einer Veranda des Kanzleramtes nieder und döst ein wenig. Dann muss die Feuerwehr anrücken und ihn vertreiben, denn zu intensiv darf die Symbiose zwischen Mensch und Wildtier nicht werden.
Wie zivilisierend sich das Stadtleben mit seinem Überangebot an Nahrung auf die eingewanderten Tiere auswirkt, hat der Wildtierbeauftragte des Berliner Senats, Dirk Ehlert, vor Jahren beobachten können. Eines Tages registrierte der Experte mit Erstaunen, dass sich jener Kanzleramts-Fuchs den Bau mit einer Wildkaninchen-Sippe teilte. Zu Schaden kam dabei niemand.
EPD/sei