„Integration muss man wollen. Dafür muss eine gesamte Gesellschaft eine Haltung einnehmen und leben.“ Dazu fordert Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in seinem Buch „Mut zur Integration. Für ein neues Miteinander“ auf. Integration bedeutet für den SPD-Politiker nicht nur die Einbeziehung und Anerkennung der 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Teilhabe und Chancen zum Aufstieg sollen alle bekommen, die in dieser Gesellschaft ausgegrenzt und diskriminiert werden. Herausgekommen ist auf 166 Seiten ein leidenschaftliches Plädoyer für eine die Menschen aktivierende Integrationspolitik, ohne die Deutschland nach Überzeugung Wowereits keine Zukunft hat.
Mit Blick auf den demografischen Wandel könne es sich Deutschland weder sozial noch ökonomisch leisten, das Potenzial vieler Zuwanderer und Arbeitsloser brach liegen zu lassen, so Wowereit. Das Buch sollte schon im Mai 2011 erscheinen, kommt nun aber erst zur Frankfurter Buchmesse heraus. Am Freitagnachmittag wird es vorgestellt. Wowereit fasst darin seine Erfahrungen als Regierender Bürgermeister einer Metropole mit Einwohnern aus 190 verschiedenen Nationen sowie die programmatische Arbeit der SPD-Zukunftswerkstatt zum Thema Integration zusammen, die er geleitet hat.
Den Konservativen in der Union wirft Wowereit dabei „Komplettversagen“ vor. Sie bezögen Integration ausschließlich auf Einwanderer, „die sie zudem zu oft nur als Fremdkörper gesehen haben und zu selten als das, was sie sind: Menschen.“ Als Wowereit dies schrieb, kann er noch nicht geahnt haben, dass er nun mit der Berliner CDU über eine Senatskoalition verhandelt. Der unterschiedliche Ansatz könnte noch für Zündstoff in den Verhandlungen sorgen.
Teilen der Union wirft der SPD-Bundes-Vize vor, immer noch im „Vorgestern verhaftet“ zu sein. Sein Beleg: Der „Sturm der Entrüstung“ auf die These von Bundespräsident Christian Wulff im Oktober 2010, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert Wowereit scharf für ihren Satz, dass Multikulti gescheitert sei. „Damit diffamiert sie Menschen, die sich in diese Gesellschaft gerackert haben. Multikulti ist nicht gescheitert, sondern Realität in Deutschland.“
Neu sind die Thesen jedoch keineswegs, sondern vielfach aus Wowereits Mund oder von anderen SPD-Politikern gehört. Bildung und Arbeit zu existenzsichernden Löhnen sind für den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden die Schlüssel zur Integration. Diese Botschaft wiederholt Wowereit in vielen Unterkapiteln teils mit denselben Formulierungen, so dass den Leser ein Gefühl der Redundanz beschleicht. Oder als sei das Buch schlecht redigiert worden.
Eine gute Ausbildung sei der Schlüssel zum Aufstieg, betont Wowereit immer wieder. Dabei nennt er gern sich selbst als Beispiel, denn er hat es als Kind einer Putzfrau bis zum Jura-Studium und zum Regierungschef geschafft. Wie ein roter Faden ziehen sich erneut die Lebensweisheiten seiner Mutter Herta durch das Buch – wie auch schon in seiner 2007 erschienenen Autobiografie.
Von seiner Mutter hat er seinen Aufstiegswillen gelernt. „Wir waren arm, aber ganz bestimmt nicht verzweifelt, depressiv oder träge. Im Gegenteil, meine Kindheit war glücklich. Wir fühlten uns ganz bestimmt nicht prekär, sondern voller Tatendrang.“ Den vermisst der SPD-Politiker heute vielerorts. „Integration ist keine Serviceleistung des Staates, sondern eine Haltung aller Bürger: Die allgemein akzeptierte Währung heißt sich anstrengen, sich Mühe geben, dabei sein wollen.“
Zugleich räumt Wowereit aber auch Versäumnisse der Politiker allgemein, wie auch der SPD ein. Jahrzehntelang sei gar keine Integrationspolitik betrieben worden, weil man dachte, die Gastarbeiter gingen nach getaner Arbeit wieder nach Hause.
Scharf kritisiert Wowereit auch die umstrittenen Thesen des Ex-Bankers Thilo Sarrazin (SPD), der vor allem muslimischen Zuwanderern eine kulturell und intellektuell bedingte Integrationsfähigkeit und -bereitschaft abgesprochen hat. Sarrazin habe mit „ein paar zusammengeschusterten und vielfach sogar falschen Zahlen ein Zerrbild Deutschlands gemalt“, so Wowereit. „Was das Sommermärchen 2006 an Ansehen geschaffen hat, wurde von einem zornigen Pensionär im Alleingang erschüttert.“
Vermisst habe er dabei den „Aufstand der Anständigen“. Für den SPD-Politiker läuft etwas falsch in dieser Republik, wenn nicht einmal Intellektuelle auf die Entgleisungen Sarrazins reagierten. Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit seien so wieder hoffähig geworden. Seinen früheren Finanzsenator mahnt Wowereit: „Anständigkeit für Führungspersönlichkeiten muss auch in Zukunft maßgebend sein, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten.“
Klaus Wowereit „Mut zur Integration. Für ein neues Miteinander“, 166 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-86602-945-3, 10 Euro, erschienen im Vorwärts Buch Verlag