Geplatzte Koalition

Wie es nach dem Aus von Rot-Grün weitergeht

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Autobahnbau versperrt Rot-Grün den Weg

Die rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin sind bereits in der ersten Runde geplatzt. Als Grund nannte Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit den Streit über die Verlängerung der Stadtautobahn A100.

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Der Tag nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen zwischen Berliner SPD und Grünen. Wann wird mit der CDU verhandelt? Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf den Bund? Stimmen und Meinungen.

Koalitionsverhandlungen

Wahl des Berliner Regierungschef spätestens Anfang Dezember

Nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen mit den Grünen will die Berliner SPD zügig mit der CDU einen neuen Senat bilden. Landes- und Fraktionschef Michael Müller sagte am Donnerstag, er hoffe, dass spätestens Ende November oder Anfang Dezember der Regierende Bürgermeister gewählt werden könne. Die Sozialdemokraten wollten schnell die Verhandlungen beginnen. Als möglichen Termin nannte der SPD-Chef Mittwoch oder Donnerstag kommender Woche. Der Zeitplan werde jetzt mit der CDU abgesprochen.

Worüber mit der Berliner CDU verhandelt wird

Klaus Wowereit (SPD) sagt, die SPD knüpfe in den Verhandlungen mit der CDU direkt an die Sondierungsgespräche an. Er räumte ein, dass es auch mit der CDU schwierige inhaltliche Punkte gebe. „Für die SPD sind die Gebührenfreiheit in der Bildung und die Sekundarschulen nicht verhandelbar.“

Müller sagte, mit der SPD werde es keinen weiteren Verkauf von Unternehmen aus den Bereichen Wohnungsbau, Wasser oder Strom geben, ebenso wenig wie eine Privatisierung des Krankenhauskonzerns Vivantes, der Verkehrsbetriebe BVG und der Stadtreinigung BSR. Schwierigkeiten könnten bei Verhandlungen mit der CDU in der Sicherheits- und Integrationspolitik auftreten.

CDU-Chef Henkel betont gutes Verhältnis zu Wowereit

Der Berliner CDU-Vorsitzende Frank Henkel hat vor den Koalitionsverhandlungen mit der SPD sein gutes Verhältnis zu den Spitzenvertretern der Sozialdemokraten hervorgehoben. „Ich hatte in der Vergangenheit mit Herrn Müller, dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden der SPD, stets ein faires Verhältnis“, sagte Henkel am Donnerstag im RBB-Inforadio und fügte hinzu: „Ich würde auch mein Verhältnis zu Klaus Wowereit als außerordentlich entspannt bezeichnen.“

Nachdem die Probleme von SPD und Grünen auch an den atmosphärischen Schwierigkeiten lagen, betonte Henkel nun mit Blick auf die SPD: „Ich glaube, es wird von Anfang an wichtig sein, dass man partnerschaftlich und fair miteinander umgeht. Das ist das entscheidende Thema.“ Natürlich werde es inhaltliche Punkte geben, über die beide Parteien stärker diskutieren müssten, sagte Henkel. „Dabei geht es darum, dass man untereinander Vertrauen hat, es geht um die Verantwortung für Berlin und es geht um stabile Verhältnisse.“

„Ich sehe keine unüberbrückbaren Gegensätze zwischen SPD und Union“, sagte Henkel dem Fernsehsender „Phoenix“ am Donnerstag.

Thierse hält Rot-Schwarz in Berlin noch längst nicht für sicher

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält eine rot-schwarze Koalition in Berlin noch nicht für ausgemachte Sache. „Die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen sind erst einmal gescheitert“, sagte er der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“. „Ob nun wirklich Rot-Schwarz kommt, das wird man sehen. Ich bin davon noch nicht hundertprozentig überzeugt. Denn da muss man ja auch eine verlässliche Koalitionsvereinbarung zustande kriegen.“ Thierse fügte hinzu: „Ich bin schon ein bisschen enttäuscht. Denn es schien ja durchaus in Richtung Rot-Grün zu gehen. Und es spricht auch viel dafür, die Stimmung in der Stadt und in der Partei. Aber je knapper die Mehrheit ist, desto verlässlicher muss die eingegangene Partnerschaft sein.“ Der Berliner SPD-Politiker betonte mit Blick auf die Situation im Bund: „Wir wollen hoffen, dass es bei der Bundestagswahl etwas deutlichere Mehrheitsverhältnisse gibt, die dann eine rot-grüne Koalition problemlos ermöglichen. Denn die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen SPD und Grünen sind größer als mit allen anderen möglichen Partnern.“

Unternehmerverbände setzen auf SPD-CDU-Koalition in Berlin

Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) sieht einer möglichen Koalition von SPD und CDU mit großen Erwartungen entgegen. In dieser Konstellation würde der Senat über eine „stabile und handlungsfähige Mehrheit“ verfügen, sagte UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck am Donnerstag. Damit könnten in der kommenden Legislaturperiode klare Entscheidungen getroffen und wichtige Weichen gestellt werden. Entscheidend sei jetzt der Ausbau der Infrastruktur etwa mit der Verlängerung der Autobahn 100 und mit der planmäßigen Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg (BER), sagte UVB-Sprecher Frank Hufnagel.

Auswirkungen auf den Bund

Wowereit sieht rot-grünes Scheitern ohne Wirkung für Bund

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht in den geplatzten Koalitionsbestrebungen mit den Grünen keinen Nachteil für die Bundespolitik. „Das hat keine Auswirkung auf die Bundesebene. Da ist eine andere Situation“, sagte Wowereit dem RBB-Inforadio am Donnerstagmorgen. Die SPD wolle weiterhin die schwarz-gelbe Bundesregierung ablösen und sehe dazu mit den Grünen die besten Chancen.

Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, Renate Künast, zeigte sich im ZDF-„Morgenmagazin“ dagegen besorgt: „Das Signal in den Bund ist nicht unbedingt positiv.“

Wowereit sagte, er könne die Enttäuschung vieler SPD-Mitglieder nachvollziehen, sieht in einem Koalitionswechsel von der Linkspartei zur CDU auf Landesebene aber keinen Widerspruch: „Wir haben das für den Wahlkampf ja nicht ausgeschlossen.“ Es gebe Konfliktpunkte mit der CDU, etwa bei Bildungs- und Integrationspolitik. Diese müssten in förmlichen Koalitionsverhandlungen geklärt werden. „Aber ich gehe davon aus, dass das möglich ist.“

Als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, so Wowereit gegenüber dem Berliner Radiosender 105‘5 Spreeradio, habe er sich natürlich auch mit Parteichef Sigmar Gabriel abgestimmt. Von ihnen habe er „volle Rückendeckung für die Berliner Entscheidung“. Wowereit weiter: „Selbstverständlich streben wir eine Ablösung der desaströsen Bundesregierung an und da ist Rot-Grün im Bund auch eine Alternative. Dementsprechend wird man sich auch positionieren.“

Absage für Grüne Gefahr für den Bund

Die Absage der SPD an eine rot-grüne Koalition in Berlin stellt nach Ansicht der Grünen eine Gefahr für die Ablösung von Schwarz-Gelb im Bund dar. Wenn die SPD in der Hauptstadt nun mit der CDU koalieren wolle, sende sie bundesweit ein Signal aus, „dass es möglicherweise auch die Alternative gibt, eine sogenannte große Koalition im Bund zu machen“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir am Donnerstag im Deutschlandfunk. Die SPD würde dann jedoch Juniorpartner der CDU. Ob dies im Interesse von SPD-Chef Sigmar Gabriel und anderen Spitzengenossen sei, wage er zu bezweifeln.

Für Beck gefährdet Wowereit Machtwechsel im Bund

Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, wertet die gescheiterten Koalitionsverhandlungen für einen rot-grünen Berliner Senat als Gefahr für den erhofften Regierungswechsel im Bund. „Das ist keine kluge Entscheidung im Hinblick auf die Ablösung von Schwarz-Gelb im Bund“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das Ziel wird dadurch verunklart.“

Auch schwänden die Möglichkeiten, über den Bundesrat aktiv Einfluss auf die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung zu nehmen. „Rot-Grün hätte seine Position optimieren können“, sagte Beck. „Und das ist nun verabsäumt worden.“ Er fügte hinzu: „Ein Mobilisierungsschub für die SPD wird aus diesem Manöver nicht.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele warf dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) „Trickserei“ vor.

SPD-Linker Böhning warnt vor "Brüderkämpfen" im rot-grünen Lager

Der Sprecher der SPD-Linken Björn Böhning warnt vor einem Zerwürfnis beider Parteien auf Bundesebene. „Ein Bruderkampf zwischen SPD und Grünen schadet dem gesamten Lager“, sagte der Leiter des Planungsreferats der Berliner Senatskanzlei der „Leipziger Volkszeitung“. „Davon hat keine Partei etwas.“ Mit Blick auf die gescheiterten Verhandlungen in Berlin rief Böhning dazu auf, eine „ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen“ zwischen beiden Parteien in Angriff zu nehmen, „sobald sich der Rauch etwas verzogen“ habe. Damit sollten sich SPD und Grüne mit Blick auf die für 2013 geplante Bundestagswahl gegen die bestehende Bundesregierung aus Union und FDP aufstellen.

Reaktionen auf Scheitern

Für Wowereit können auch knappe Mehrheiten erfolgreich sein

Klaus Wowereit hat Vorwürfe zurückgewiesen, wonach ihm die Mehrheit mit den Grünen zu knapp gewesen wäre. Er habe keine Angst davor gehabt, ein Risiko einzugehen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im RBB-Inforadio.

„Eine knappe Mehrheit birgt immer Gefahren, aber es gibt gute Beispiele, wo knappe Mehrheiten erfolgreich sind und wo große Mehrheiten wie gerade im Bundestag wackelig sind“, sagte Wowereit. Entscheidend sei natürlich, dass man „auch das Gefühl hat, dass eine tragfähige Regierungsarbeit zustande kommen kann“. Unter den gegebenen Voraussetzungen aber hätte es mit den Grünen ein doppeltes Risiko gegeben.

Künast spricht von Kapitulationsverhandlungen in Berlin

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast hat der SPD vorgeworfen, keine Koalition in Berlin angestrebt zu haben. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) habe gar nicht gewollt, sondern im Streit um die Autobahn 100 darauf gesetzt, dass die Grünen die Nerven verlieren, sagte Künast, die Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Abgeordnetenhauswahl war, am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Sie habe solche Gespräche noch nicht erlebt. Wowereit sei von Sondierung zu Sondierung immer wieder einen Meter zurückgegangen. Künast sagte, sie habe den Eindruck gehabt, Wowereit führe „Kapitulationsverhandlungen eines potenziellen Partners und nicht Koalitionsverhandlungen.“

Grüne bereiten sich auf Oppositionsrolle in Berlin vor

Die Berliner Grünen bereiten sich auf eine Rolle in der Opposition vor. Er könne sich schwerlich vorstellen, dass es im Falle eines Scheiterns der Gespräche von Rot-Schwarz nochmals rot-grüne Verhandlungen gebe, sagte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann am Donnerstag. „Wenn Rot-Schwarz scheitert, müssen wir das neu bewerten.“

Ratzmann kritisierte wiederholt das Verhalten des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) bei den gemeinsamen Gesprächen: „Ich kann im Nachhinein sagen, der wollte nicht.“ Wowereit habe den Weg zu Rot-Grün wegen einer unsicheren Basis „im eigenen Laden“ nicht beschritten. Die Option Rot-Schwarz sei von Wowereit gewählt worden, um sicher durch die Wahl zum Regierenden Bürgermeister zu kommen, sagte Ratzmann.

Es gibt Verärgerung bei Wählern

So hat aus Unmut über die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Grünen ein junger Mann die Berliner SPD-Zentrale mit Tomaten beworfen. Sicherheitsmitarbeiter konnten ihn am Donnerstag bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Er sagte zu Journalisten, die Tomatenwürfe seien sein „privater Protest“ gegen das Scheitern der Verhandlungen am Mittwoch. Als er am Morgen die Nachricht im Radio gehört habe, sei er losgegangen und habe sechs Tomaten gekauft. Diese habe er dann gegen die Scheiben des Gebäudes an der Müllerstraße im Stadtteil Wedding geworfen. Dort hielt sich zu diesem Zeitpunkt auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf. Verletzt wurde niemand.

SPD-Chef Gabriel fordert Grüne zu Umdenken in Verkehrspolitik auf

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Grünen zu einer Prüfung ihrer kritischen Haltung gegenüber Verkehrsprojekten aufgefordert. Eine moderne Infrastruktur sei die Grundlage des Wohlstands in Deutschland, sagte Gabriel der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Donnerstagsausgabe). Dazu gehörten auch Autobahnen, Schienenwege, Stromtrassen und Pipelines. Es sei ein großer Irrtum der Grünen, wenn sie meinten, das alles sei im 21. Jahrhundert nicht mehr so wichtig, kritisierte Gabriel.

Das Nein der Grünen zur Autobahn 100 in Berlin bezeichnete Gabriel als unverständlich. „Es geht nicht um die Zerstörung von Naturschutzgebieten durch überflüssige Autobahnen, sondern um eine moderne Verkehrsinfrastruktur für eine moderne und dynamische Großstadt“, sagte er. Es gebe „keinen Wohlstand und keinen gesellschaftlichen Fortschritt ohne Belastungen“. Mitunter müsse akzeptiert werden, „dass die Bagger sich drehen“. Am Streit um den Autobahnbau waren am Vortag die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Berlin geplatzt.

Ude ermahnt Grüne nach Berliner Verhandlungsdebakel

Der voraussichtliche SPD-Spitzenkandidat für Bayerns Landtagswahl in zwei Jahren, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, ist besorgt über das Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin. Ude kritisierte am Mittwochabend in München: „Es scheint ein Hobby der Grünen zu sein, Verkehrsprojekte fundamentalistisch abzulehnen.“ Dies könne den Verlust der Regierungsfähigkeit bedeuten.

Ude bekräftigte zugleich, dass er an der geplanten dritten Startbahn am Münchner Flughafen trotz des Widerstands der Grünen festhalten will. Allerdings sei er bereit, das Ergebnis einer Volksbefragung in Bayern über dieses Projekt zu akzeptieren.

( AFP/dapd/dpa/sei )