Geplatzte Koalition

Grüne drohen Berliner SPD langes Gedächtnis an

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Die Grünen machen die SPD und Klaus Wowereit für das Aus einer rot-grünen Koalition in Berlin verantwortlich. Die frühere Spitzenkandidatin Renate Künast ist sich sicher: "Kein Grüner wird das der SPD vergessen." In Wedding flogen Tomaten.

Nach dem raschen Ende der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin geben sich beide Parteien gegenseitig die Schuld am schnellen Scheitern. Und es gibt Verärgerung bei den Wählern.

So hat aus Unmut über die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Grünen ein junger Mann die Berliner SPD-Zentrale mit Tomaten beworfen. Sicherheitsmitarbeiter konnten ihn am Donnerstag bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Er sagte zu Journalisten, die Tomatenwürfe seien sein „privater Protest“ gegen das Scheitern der Verhandlungen am Mittwoch. Als er am Morgen die Nachricht im Radio gehört habe, sei er losgegangen und habe sechs Tomaten gekauft. Diese habe er dann gegen die Scheiben des Gebäudes an der Müllerstraße im Stadtteil Wedding geworfen. Dort hielt sich zu diesem Zeitpunkt auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf. Verletzt wurde niemand.

Die ehemalige Spitzenkandidatin der Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, Renate Künast , geht von nachhaltigen Folgen der gescheiterten Koalitionsverhandlungen für die Zukunft des rot-grünen Modells aus. „Grüne denken an die Glaubwürdigkeit. Das ist einer unserer höchsten Werte“, sagte Künast der „Leipziger Volkszeitung“. „Und ich bin mir sicher, kein Grüner wird das der SPD vergessen.“ Der SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sei „diese Stadt doch völlig egal, während sich die Grünen um eine Idee für die gesamte Stadt gekümmert haben“, sagte die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag.

Bereits bei den Sondierungen zwischen SPD und Grünen während der Kompromisssuche zur strittigen Fortführung der Stadtautobahn A100 sei Wowereit der Satz herausgerutscht: „Das ist alles gar nicht verhandelbar“, sagte Künast. Sie sieht dies als Teil einer Strategie bei den Gesprächen, deren einziges Ziel es gewesen sei, die Grünen aus der Koalitionsbildung „herauszutreiben“. Die SPD will nach den am Mittwoch geplatzten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen nun mit der CDU über die Bildung einer großen Koalition verhandeln. Die Christdemokraten waren bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September zweitstärkste Kraft hinter der SPD geworden.

„Klaus Wowereit war offensichtlich nicht gewöhnt mit einem Koalitionspartner so umzugehen, dass nachher beide als Sieger den Verhandlungstisch verlassen und erfolgreich fünf Jahre zusammenarbeiten“, sagte Grünen-Parteichef Cem Özdemir am Donnerstag im Deutschlandfunk. Der SPD-Politiker sei gescheitert, sich mit einem „Koalitionspartner, der selbstbewusst ist“, zu einigen. Wowereit kenne nur „Verhandlungen, wo er quasi Diktat macht“. „Wir haben nur keinen Krieg verloren, dass muss man Herrn Wowereit vielleicht mal erklären.“ Die SPD habe bei der Wahl Stimmen verloren, Wowereit selbst habe nicht mal seinen Wahlkreis gewonnen. „Und dann möchte er 100 Prozent SPD – das kann er mit der CDU, mit der Linkspartei machen, aber sicherlich nicht mit meiner Partei“, sagte Özdemir.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck , sieht in der Entscheidung Wowereits eine Gefahr für den erhofften Regierungswechsel im Bund. „Das ist keine kluge Entscheidung im Hinblick auf die Ablösung von Schwarz-Gelb im Bund“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch schwänden die Möglichkeiten, über den Bundesrat aktiv Einfluss auf die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung zu nehmen. „Rot-Grün hätte seine Position optimieren können“, sagte Beck. Und das sei nun verabsäumt worden. Er fügte hinzu: „Ein Mobilisierungsschub für die SPD wird aus diesem Manöver nicht.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele warf Wowereit „Trickserei“ vor.

Der niedersächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy forderte Wowereit auf, sich zu korrigieren. „Ich würde es begrüßen, wenn man einen zweiten Anlauf unternimmt“, sagte er. Man lasse „keine Koalitionsregierung an drei Kilometern Autobahn scheitern“.

Wowereit erhält für den Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aber auch Rückendeckung aus der Bundes-SPD. Bei Koalitionen sei Verlässlichkeit „eine unverzichtbare Bedingung“, sagte der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz der „Berliner Zeitung“: „Offenbar war das nicht der Fall.“ Der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner verteidigte den Regierenden Bürgermeister gegen die Kritik, er habe die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen zu Unrecht platzen lassen. „Über Koalitionen entscheiden die Landesverbände selbst“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Offenbar sind Klaus Wowereit und Michael Müller zu der Überzeugung gelangt, dass eine stabile Regierung für fünf Jahre mit den Berliner Grünen nicht funktionieren würde.“ Das lasse aber keine Rückschlüsse auf Schleswig-Holstein oder den Bund zu.

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel wiederum rief die Grünen auf, ihre Haltung zu Verkehrsprojekten generell zu überdenken. Eine moderne wirtschaftsfreundliche Infrastruktur sei die Grundlage des Wohlstands in Deutschland, dazu gehörten auch Autobahnen, Schienenwege, Stromtrassen und Pipelines, sagte Gabriel der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Es sei ein großer Irrtum der Grünen, wenn sie meinten, das alles sei im 21. Jahrhundert nicht mehr so wichtig. Das Nein der Grünen zur Autobahn 100 in Berlin sei unverständlich. „Es geht nicht um die Zerstörung von Naturschutzgebieten durch überflüssige Autobahnen, sondern um eine moderne Verkehrsinfrastruktur für eine moderne und dynamische Großstadt.“ Auch beim Streit um das baden-württembergische Schienenbauprojekt „Stuttgart 21“ treffe er auf eine Haltung, die man mit den Worten umschreiben könne: Ich will zwar Wohlstand, aber nicht die damit verbundenen Belastungen.

( AFP/dapd/sei )