Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Buchautor Thilo Sarrazin hat die integrationspolitischen Vorstellungen seines früheren Vorgesetzten Klaus Wowereit scharf kritisiert. Das Buch, das der Regierende Bürgermeister und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende kürzlich zur Integration vorgelegt hat („Mut zur Integration“, Vorwärts-Verlag, 10 Euro), sei eine „Schönwetter-Mutmach-Fibel“, schreibt Sarrazin in einem Gastbeitrag für die Berliner Morgenpost: „Der Einwanderungsdiskussion, wie sie Klaus Wowereit führt, fehlt schlicht das geistige Niveau.“
Sarrazin, der in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ vor allem Defizite der muslimischen Einwanderer beschrieben hat, wirft Wowereit vor, einen unklaren Integrationsbegriff zu haben. Für Wowereit hätten alle Minderheiten ein potenzielles Integrationsproblem, schreibt Sarrazin. Alle seien gleich, egal ob es sich um arme Rentner, Behinderte, Lesben oder Araber handele. „So weit ausgedehnt und bis zur Unkenntlichkeit inhaltsleer kann man seinen Integrationsbegriff in einer Kurzformel zusammenfassen: ‚Seid umschlungen Millionen’“, so Sarrazin weiter, der zwischen 2002 und 2009 unter Wowereit im Berliner Senat gearbeitet hat.
Wowereit setze die fehlende Rampe für Rollstuhlfahrer mit der Straßenkriminalität von Roma aus Bulgarien gleich. Wer alles in einen Topf werfe, vernebele die Probleme und rede der Verharmlosung das Wort. Der Regierende blende zudem aus, dass es bei der Integration verschiedener Einwanderergruppen große Unterschiede gebe. Das Problem der Einwanderung in den Sozialstaat klammere er aus. Kein Wort finde er dazu, dass inzwischen 40 Prozent der Schulanfänger in Berlin der Unterschicht zuzuordnen seien. Sarrazin: „Blühender Unsinn ist der Satz ‚Ohne Migration wären moderne Gesellschaften gar nicht vorstellbar‘: Die europäischen Länder hatten im 19. Jahrhundert, als sie zu Industriemächten heranreiften, keine wesentliche Einwanderung, Deutschland war ein Auswanderungsland.“ Sarrazins Fazit: „Zu hoffen bleibt nur, dass der geistige Anspruch des Regierenden Bürgermeisters weiter reicht, als sein Buch erkennen lässt.“
Die Kritik von Sarrazin fällt in die Diskussionen zwischen SPD und CDU zur Integrationspolitik für den Koalitionsvertrag. Am Montag soll die große Runde beider Parteien die Ergebnisse abstimmen. Bisher war zu hören, dass eine auf Toleranz und Angebote an die Migranten gerichtete Linie sich durchsetzen wird gegen diejenigen Stimmen, die auch Sanktionen einfordern und mehr Anstrengungen von den Migranten erwarten.
Die CDU hatte sich im Wahlkampf mit einem in den vergangenen Jahren erarbeiteten Integrationspapier präsentiert. Sie fordert neben den Anstrengungen des Staates für eine bessere Integration auch das Engagement der Migranten, die in Deutschland leben. Strittig zwischen CDU und SPD ist, ob es einen Passus im Koalitionsvertrag zur deutschen Leitkultur geben wird.
Die SPD drängt darauf, dass sich dort auch ein Satz wiederfindet wie: „Der Islam gehört wie auch die christlichen Religionen und der Atheismus zu Berlin“. Im Gegensatz zur CDU setzt sich die SPD auch für die Förderung des Ethikunterrichts als Integrationshilfe ein. Die Union will dagegen den Religionsunterricht in den Schulen wieder mehr stärken. CDU-Landeschef Frank Henkel sagte, er erwarte eine schwierige Debatte: „Wir werden den richtigen Weg in der Integration länger diskutieren.“