Pflegenotsatnd

Umstrittene Meinungsfreiheit

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Michael Mielke

Darf einer Mitarbeiterin, die sich mit Hilfe eines Flugblattes über ihre Eindrücke in einem Pflegeheim beklagt, fristlos gekündigt werden?

Darf einer Mitarbeiterin, die sich mit Hilfe eines Flugblattes über ihre Eindrücke in einem Pflegeheim beklagt, fristlos gekündigt werden? Diese Frage war bereits 2006 Thema der 7. Kammer des Berliner Landesarbeitsgerichtes.

Brigitte Heinisch hatte sich schon seit 2002 über die ihrer Meinung nach unhaltbaren Zustände im Wohnpflegezentrum Reinickendorf, Haus Teichstraße, beklagt: Das ging bis zu Vorwürfen, die Heimbewohner könnten wegen des permanenten Personalmangels nur einmal in der Woche geduscht werden und lägen stundenlang in ihren Exkrementen. Zunächst schrieb sie Beschwerden und so genannte Überlastungsanzeigen innerhalb ihres Betriebes, wie ihre Anwältin Sonja Knarr vor dem Landesarbeitsgericht mitteilte. Ende 2004 habe sich dann jedoch die Situation zugespitzt. Heinisch wandte sich mit Briefen an die Geschäftsleitung und den Aufsichtsrat der Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH und stellte im Dezember 2004 sogar eine Strafanzeige. Man habe sie quasi genötigt, Pflegeberichte zu beschönigen und mithin zu fälschen, erklärte die 44jährige vor Gericht. Die Anzeige führte jedoch nicht zu einem Ermittlungsverfahren und wurde ad acta gelegt.

Kurz darauf wurde Frau Heinisch gekündigt. Als Grund wurde ihr hoher Krankenstand angegeben. Allein 2004 waren es rund 90 Tage. Heinisch ging daraufhin zur Gewerkschaft, besprach sich mit Freunden, die einen Solidaritätskreis gründeten - und schließlich kam es zu Entstehung eines Flugblattes, an dem sie, so sagte sie vor Gericht, nicht mitgewirkt haben will, das sie aber eindeutig per Fax einer Kollegin im Haus Teichstraße zukommen ließ. Überschrift: "Vivantes will Kollegen/innen einschüchtern!! Nicht mit uns!" Unterzeile: "Sofortige Rücknahme der politisch motivierten Kündigung der Kollegin Brigitte Heinisch ..." Darunter wird geharnischte Kritik geübt: Von "Profitgier" auf Kosten der Heimbewohner und des Personals ist die Rede und daß von der Leitung das "soziale Engagement" der Mitarbeiter "schamlos ausgenutzt" werde. Anwalt Rolf Zeißig, der Vivantes vor Gericht vertrat, wertete diese Vorwürfe als "maßlos übertrieben" und "vom Recht der Meinungsfreiheit nicht gedeckt". Genau das war vor dem Arbeitsgericht im Juni 2005 noch im Sinne von Frau Heinisch gesehen worden und wird nun in zweiter Instanz noch einmal überprüft. Die Richterin sprach bei der ersten Zusammenfassung von einem "Grenzbereich". Ein weiteres Thema sollen die Gründe für die Strafanzeige gegen Vivantes sein, weil auch sie schon Grund für eine Kündigung sein könnte: Urteil am 28. März.