Islam

Miteinander, nicht übereinander reden

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Andreas Gandzior

Foto: Christian Kielmann

Seit 1997 öffnen immer zum 3. Oktober Moscheen in ganz Deutschland ihre Tore - als Zeichen der Verständigung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. In Berlin strömten schon am Vormittag Hunderte in die Gotteshäuser.

Die Herbstsonne steht tief über der goldenen Mondsichel auf dem Dach der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Neukölln. Vor dem Gotteshaus halten immer wieder Autos in zweiter Spur. Frauen tragen Tabletts, Teller und Schüsseln mit türkischem Essen auf den Vorhof der Moschee. Es ist Sonntagmorgen, eine Gemeinde bereitet sich auf ein großes Fest vor. Nur kurze Zeit später duftet es nach Gegrilltem, orientalischen Gewürzen und Gebäck. Am Eingang verteilen Kinder Bonbons und reichen den Besuchern Rosenwasser zum Reinigen der Hände. Es ist der Tag der offenen Moschee, und die Türkisch Islamische Gemeinde zu Neukölln hat eingeladen.

Rund 20 muslimische Vereine, Gemeinden und Moscheen beteiligten sich gestern in Berlin an der bundesweiten Aktion. Unter dem Motto „Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben“ wird das 1400. Jahr seit dem Beginn der Offenbarung des Korans gefeiert. Insgesamt werden rund 5000 Besucher gezählt.

„Wir nutzen diesen Tag, um miteinander und nicht übereinander zu reden“, sagt Chalid Durmosch vom Verein für Integration und Jugendhilfe „Lichtjugend“. Der junge Mann führt durch die Neuköllner Moschee. Jeder Rundgang wird eine Zeitreise in Sachen Religion, Architektur, Sprache und Entstehungsgeschichte. Doch bevor die erste Führung beginnt, trinken die Gäste erst einmal Tee und probieren türkisches Gebäck.

Interesse an dem Bauwerk

„Es ist reine Neugierde, die uns heute hierher geführt hat“, sagt Günter Miletzki aus Wilmersdorf. Mit seiner Frau steht er vor einem Holzkohlegrill. „Wir kennen die Moschee nur von außen.“ Er interessiere sich für die Menschen und die Kultur, aktuelle politische Debatten seien nicht der Anlass für den Besuch. Das ist auch bei Simone Fischer aus Pankow so. „Es ist das Interesse am Bauwerk“, sagt sie. „Andere Beweggründe habe ich nicht.“ Mit ihrer Tochter wartet sie auf die Führung. Die Gruppe für die erste Führung des Tages ist mittlerweile auf rund 50 Besucher angewachsen. Deutsche und türkische Kinder und Jugendliche, Männer, Frauen, Familien – für Chalid Durmosch ist es keine leichte Aufgabe, die richtige Sprache, den richtigen Ton zu finden. Spaß muss es machen, Interesse wecken, informieren und unterhalten. Durmosch wählt einfache, bildhafte Worte. Er erklärt das Wort Islam (Frieden machen durch die Hingabe an Gott) und vergleicht den Zusammenhang aller Weltreligionen mit Computer-Updates und neuer Software. Eine religiöse Basis, aber mit veränderten Programmen. Die Kinder verstehen seine Sprache.

„Es wurde Zeit, dass ich die Moschee einmal besucht und eine Führung mitgemacht habe“, sagt Ralf Ohmann. „Ich fahre täglich über den Columbiadamm zur Arbeit. Im Urlaub rennt man in jede Kirche, Kathedrale oder Moschee, nur in der eigenen Stadt sieht man sich die schönen Sachen nicht an.“ Dabei kann die Moschee täglich besucht werden. Nicht nur an einem Tag der offenen Moschee. „Wie bieten täglich kostenlose Führungen und andere Angebote an“, sagt der Vorsitzende der Gemeinde, Yavuz Selim Akgül. Vielfältig ist auch das Programm am gestrigen Sonntag. Koran-Rezitation, Mittag- und Abendgebet, Geschichten aus dem Leben des Propheten Mohammed und ein Vortrag über den Hadsch, die Pilgerreise nach Mekka. Nach Angaben Agüls werden, wie im Vorjahr, bis zum Abend rund 3000 Besucher erwartet. „Es könnten ruhig noch mehr werden, aber in Berlin gibt es am ?3. Oktober so viele andere Veranstaltungen, dass wir zufrieden sein können.“

Kinder erklären das Haus

Ein Schwerpunkt liegt auf Moscheeführungen von Kindern für Kinder und Erwachsene. Es führen aber keine türkischen Kinder durch die Moschee, sondern Leonid Wenz. Der Elfjährige besucht die Evangelische Schule Berlin-Mitte. „In Projektwochen an der Schule haben wir Führungen durch Synagogen, Moscheen und Kirchen erarbeitet“, sagt er. „Heute zeige und erkläre ich den Besuchern die Sehitlik Moschee.“ Schulkameraden, Freunde und Familie warten bereits.

Überall auf dem Grundstück sind Informationsstände aufgebaut. Junge Frauen zeigen traditionelle Malkünste, andere informieren und verteilen Broschüren. Gemeindemitglieder sprechen Besucher an und beantworten Fragen. Interesse findet auch die Geschichte des türkischen Friedhofs, rund um die Moschee. Diese reicht bis ins Jahr 1797 zurück. Seinen Namen bekam der Friedhof im Ersten Weltkrieg. Verletzte türkische Soldaten kamen zur Behandlung nach Berlin. Die toten Soldaten fanden hier ihre letzte Ruhe. Der Friedhof wurde Märtyrer-Friedhof (türkisch: Sehitlik) genannt. So erhielt auch die Moschee ihren Namen. Zurzeit ist das Grundstück 2550 Quadratmeter groß und Eigentum des türkischen Verteidigungsministeriums.

Gegen Mittag herrscht auf dem Platz reges Treiben. Bei türkischen Spezialitäten stehen die Besucher in Gruppen zusammen. Einfach so. Ohne Vorurteile, ohne Abneigungen. Und da kommt das Gespräch auf das Thema, über das Männer immer irgendwann sprechen – Fußball. Das Länderspiel Deutschland gegen die Türkei am kommenden Freitag in Berlin sorgt bereits für Gesprächsstoff.