Vor sechs Monaten berichtete die Berliner Morgenpost

Mittwoch, 27. Januar

Die Berliner Morgenpost erfährt von einem Brief, den der Rektor des Canisius-Kollegs (CK) an ehemalige Schüler verschickt hat. Schulleiter Pater Klaus Mertes bittet darin frühere Opfer aus den Abiturjahrgängen 1977 bis 1983 um Entschuldigung für möglichen Missbrauch an der Schule. Außerdem fordert er jeden auf, der solche Erfahrungen gemacht hat, sich bei ihm oder der eigens vom Jesuitenorden eingesetzten Beauftragten für Missbrauchsfälle zu melden. Im Interview sagt Mertes, er habe bereits im Jahr 2006 erste konkrete Hinweise auf Missbrauchsfälle erhalten und deshalb kurz darauf die Rechtsanwältin Ursula Raue als Mediatorin für Missbrauchsfälle eingesetzt. Mit dem Brief wollte er das Schweigen brechen und signalisieren: „Wir sind ansprechbar.“

Donnerstag, 28. Januar

Die Berliner Morgenpost berichtet als erste Zeitung von diesem Brief, den mehr als 600 ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs zugeschickt bekommen haben. Viele Ehemalige – einige davon sind Mitglieder der Redaktion – fühlen sich in dem bestätigt, was sie schon seit Jahrzehnten häufiger gehört hatten, bei Ehemaligentreffen oder abendlichen Verabredungen: dass es in den 70er- und 80er-Jahren an der Schule und in der angeschlossenen außerschulischen Jugendarbeit zu systematischem Missbrauch von Schülern durch Lehrer gekommen sei. Noch am Tag der Berichterstattung leitet die Polizei ein Ermittlungsverfahren ein.

Freitag, 29. Januar

Mehrere Tageszeitungen versuchen, Kontakt zu ehemaligen Schülern des Canisius-Kollegs aufzubauen. Auch deutschlandweit erscheinende Zeitungen berichten über die Schule, ihren Rektor, den Orden, über Schüler, Eltern und Ehemalige. Mertes spricht von einem „Medien-Tsunami“. Schüler und Elternvertreter loben die Offenheit, mit der der Schulleiter das Thema angeht. Sie schafft die Grundlage, um weiter Vertrauen zu behalten zu ihrer Schule. Mertes: „Die Wahrheit ist wichtiger als das Image der Schule.“ Bei einer improvisierten Pressekonferenz spricht Mertes von 15 Opfern. Auf Nachfragen bestätigt er als Tatverdächtige die beiden Namen der ehemaligen Lehrer Peter R. und Wolfgang St.

Sonnabend, 30. Januar

Jetzt beginnt die Suche nach den beiden alten Männern, den Lehrern Peter R. und Wolfgang St. Peter R.s Lebensweg führte nach Niedersachsen. Er arbeitete als Jugendseelsorger in Göttingen und Hildesheim. Im Ruhestand ist er nach Berlin zurückgekehrt. Der inzwischen 69-Jährige streitet jedoch alle Vorwürfe ab. Wolfgang St. lebt seit den 80er-Jahren in Chile und räumt in einer Erklärung an seine Opfer die Taten ein. Es sei „eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe“. Daran sei „nichts zu entschuldigen“.

Montag, 1. Februar

Es kommt heraus, dass die beiden Mitbrüder, auch nachdem sie am CK waren, eine Spur des Missbrauchs hinterlassen haben. Opfer von Sportlehrer Wolfgang St. meldeten sich aus Hamburg und St. Blasien. Auch in Spanien und Chile habe es Vorfälle gegeben. Der Skandal weitet sich wenig später auf ganz Deutschland aus.