Berlin. Im schwarz-roten Senat hat die CDU das Verkehrsressort übernommen. Was das für den Radverkehr bedeutet, zeigt sich an der ersten Duftmarke, die die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner hinterlässt. Sie hat angeordnet, jeden neuen Radwegbau aufs Eis zu legen, wenn ein Parkplatz dafür weichen muss. Eine entsprechende Mail lief bereits in den Postfächern der Bezirke ein. Auch in Sachen Tempo 30 hat die neue Senatorin eine Wende angeordnet.
Die neuen Prioritäten bedeuten einen Kurswechsel in der Verkehrspolitik. Wie "RBB24" berichtet, betrifft der Stopp den Ausbau neuer Radwege in Berlin, wenn Parkplätze oder Fahrspuren dafür reduziert werden – "der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus", heißt es in der Nachricht. Der Schwenk betrifft nicht nur den Bau einzelner Radspuren, sondern auch das Verwaltungsprozedere, also Prüfungen, Anhörungen und Expertenbefragungen.
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"Wegfall eines Stellplatz reicht schon": CDU legt Radweg-Planung auf Eis
"Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen", heißt es in der E-Mail. Der Kurswechsel macht auch vor Tempo 30 nicht Halt. Mit Ausnahme von Straßenabschnitten, die an Schulen oder Kitas angrenzen, sollen keine weiteren Geschwindigkeitsbegrenzungen mehr heruntergschraubt werden.
Noch im Mai hatte Verkehrssenatorin Schreiner bekundet: "Auch ein Autofahrer muss sich daran gewöhnen, dass verschiedene Mobilitätsbedürfnisse da sind und auch der Radverkehr seine Bedeutung hat. Und da werden alle aufeinander Rücksicht nehmen müssen." Dagegen hatte sie frühzeitig signalisiert, keine weiteren Straßen auf 30 Stundenkilometer zu begrenzen. Im Wahlkampf war auch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner mit einer Haltung für den automobilen Verkehr aufgetreten.
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Radikaler Kurswechsel: Grünen-Politiker wirft Schreiner Gesetzesbruch vor
Kritik wird vonseite der Opposition und aus den Bezirken laut. Grünen-Politikerin und Verkehrsstadträdtin Filiz Keküllüoglu aus Lichtenberg zeigte sich in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) "besorgt um die schwächsten Verkehrsteilnehmer". Betroffen von dem Baustopp ist in ihrem Bezirk der geplant Radweg in der Siegfriedstraße. Die Planungen laufen seit Jahren, die alte Senatsverwaltung hatte längst grünes Licht gegeben.
Ragnhild Sørensen äußerste sich schockiert von der Entscheidung: "Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin." Die Pressesprecherin des Vereins Changing Cities warf Schreiner indirekt vor, ihre Absichten nicht ehrlich zu kommunzieren. Der Think Tank rief kurzfristig zu einer Demonstration für den Erhalt des Berliner Mobilitätsgesetzes auf.
Mehrere Verkehrsstadträte in den Bezirken äußerten scharfe Kritik am Kurswechsel. Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) aus Neukölln bezeichnete den Schritt als "Drama, wenn das wirklich so kommt". Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Werner Graf warf der Koalition aus CDU und SPD vor "dass sie ideologisch zur Verkehrspolitik des letzten Jahrhunderts zurück will", er sieht einen Verstoß gegen das Mobilitätsgesetz.
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Der ADFC Berlin sieht in der Ankündigung den Versuch, das Mobilitätsgesetz aufzuweichen. „Wir werden entschieden dafür streiten, dass die dringend benötigten Radwegeprojekte weitergeführt werden. Wer nur an den Kfz-Verkehr denkt, hat die Vergangenheit, aber nicht die Zukunft von Berlin im Blick.“
Gerüchte um Radweg in der Ollenhauserstraße in Reinickendorf
In der Reinickendorfer BVV am Mittwoch hat die CDU-Fraktion durch auffällig lange und unnötig detaillierte Antworten dafür gesorgt, dass die Beantwortung der mündlichen Anfragen zur „Gefährlichen Situation von Radfahrenden auf der Ollenhauerstraße“ der fraktionslosen Bezirksverordneten Kai Bartosch nicht mehr dran kam.
Nach dem Schreiben der Senatsverwaltung scheint klar, warum: Gerüchteweise heißt es, dass der gerade fertiggestellte Radweg an der Ollenhauerstraße nicht eröffnet und sogar wieder zurückgebaut werden soll. Andere Projekte, wie zum Beispiel an der Waldstraße, stünden auch zur Disposition. Allerdings würde die Aussetzung von angeordneten Projekten im Zweifel bedeuten, dass bereits beauftragte Bauunternehmer Entschädigungen fordern könnten.
Zudem wurde für viele Projekte in Reinickendorf und Berlin Bundesförderung aus dem Programm „Stadt und Land“ in Anspruch genommen. Es ist unklar, ob der Bezirk oder das Land die Mittel zurückzahlen müsste. Aber die Mittel sind zweckgebunden und müssten bis Ende 2023 abgerechnet sein.
Unklare Zukunft für Pop-up-Radweg in der Kantstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf
Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wurde die Ankündigung überrascht aufgenommen. „Wir haben keinen Brief und auch keine Mail der Verkehrsverwaltung bekommen“, sagt Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Das wohl bedeutsamste Projekt der Pop-up-Radweg in der Kantstraße, welcher eigentlich noch in diesem Jahr verstetigt werden sollte, liegt aufgrund der Sperrung des Kaiserdamms derzeit ohnehin auf Eis.
Am Mittwoch wurde bekannt, dass der Radweg in der Kantstraße für die Zeit der Sperrung für den Busverkehr freigegeben werden soll. Weitere Anordnungen von Radwegen gebe es im Bezirk derzeit nicht. Wie es nach dem Ende der Baustelle am Kaiserdamm mit dem Radweg in der Kantstraße weitergeht? Schruoffeneger sagt, er könne es nicht sagen. Verkehrssenatorin Schreiner habe nach ihrem Amtsantritt angekündigt, sich mit ihm dazu zeitnah zu verständigen. Seitdem habe er von ihr nichts mehr dazu gehört.
Im Bezirk regiert seit der Wiederwahl Schwarz-Grün. Zum Thema Radwege heißt es in der Vereinbarung der Zählgemeinschaft: „Wo immer es möglich ist, sollen diese ohne den Wegfall von Pkw-Stellplätzen realisiert werden.“ Schruoffeneger empfehle der Senatsverwaltung diese Formulierung zu übernehmen. Die Formulierung, dass bereits der Wegfall eines einzigen Stellplatzes ausreicht, sei „hochgradig verrückt“.