Studie zu Mikroplastik

Mauerpark-Graffiti vergiftet Böden

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Thomas Schubert und Sebastian Kohler
An der besprühten Hinterlandmauer im Mauerpark sind Graffiti inzwischen so dick aufgetragen, dass sich dicke Schichten abschälen - eine mögliche Erklärung für die Belastung der Böden

An der besprühten Hinterlandmauer im Mauerpark sind Graffiti inzwischen so dick aufgetragen, dass sich dicke Schichten abschälen - eine mögliche Erklärung für die Belastung der Böden

Foto: Thoma Schubert / Berliner Morgenpost

Die höchste je gemessene Bodenkontamination durch Mikroplastikpartikel haben Forscher der Freien Universität im Mauerpark dokumentiert.

Berlin. Ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin hat die Folgen für die Umwelt durch Graffiti-Kunst untersucht und alarmierende Schlüsse gezogen. Die Wissenschaftler um Biologieprofessor Matthias C. Rilling nahmen Proben aus dem Umfeld der berühmten Graffiti-Wand, die den Mauerpark vom Areal des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark trennt. Das Ergebnis: Die höchste Mikroplastikkonzentration, über die jemals in der wissenschaftlichen Literatur berichtet wurde.

Mit den Erkenntnissen erhofft sich der Forschungsleiter mehr Aufmerksam für die Thematik Bodenkontamination: „Angesichts der großen Menge an Lack-Mikroplastikpartikeln, die wir in dieser Fallstudie finden, schlagen wir dringend vor, dass die ökologischen Auswirkungen von Lack-Mikroplastik im Boden ein Schwerpunkt zukünftiger Studien sein sollten.“

Auch für die Industrie leitete Rilling Rückschlüsse aus der Bodenanalyse im Berliner Viertel Prenzlauer Berg ab. Das Forscherteam plädiert für eine Überwachung der Spritzlackierung größerer Strukturen, die in geschlossenen Räumen nicht beschichtet werden können, um das Risiko einer Umweltkontamination zu verringern.

Mauerpark: Hunderttausende Mikroplastikpartikel pro Kilogramm Boden

In welchem Ausmaß in betroffenen Böden lebende Tiere und Pflanzen durch die Kontamination beeinträchtigt werden, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Allerdings leite sich aus den Erkenntnissen der aktuellen Studie die Maßgabe ab, künftig auch Untersuchungen in diese Richtung anzustrengen, wie die Wissenschaftler betonten.

„Unsere Ergebnisse liefern erste Hinweise darauf, dass die Sprühlackierung, eine Technik mit einem breiten Anwendungsspektrum von der Industrie bis zur Kunst, ein bisher unbemerktes Erbe an umweltbelastender Mikroplastik in Böden hinterlässt“, warnte Rillig. Hunderttausende Mikroplastikpartikelchen fanden die Forscher demnach in einem Kilogramm trockenem Untergrund in mehreren Proben.

Biologe fordert Folgestudie zu Industrie-Lack und Bodenlebewesen

Um zu ermitteln, ob die Mikroplastikbelastung im Boden durch Sprüh- oder Anstrichfarbe ausgelöst oder durch andere Verschmutzungsquellen verursacht wurde, entwickelte das Team der Freien Universität eigens ein neues Analyseverfahren, bei der Mikroplastik in verschiedene Gewichtskategorien eingeteilt werden können. Dabei zeigte sich, dass Mikroplastik vom Graffitisprühen im Boden vorhanden war und das zum Teil in sehr hohen Teilchenzahlen.

Während das Bezirksamt Pankow den neuen Befund zur schädlichen Wirkung von Graffiti-Partikeln genauer prüft, haben die Freunde des Mauerparks eine erste Vermutung, wo das Problem herrührt. „Aktuell liegen kiloweise Farbreste vor der Mauer, die unnötig vom Wind in der Umgebung und das Erdreich verteilt werden“, berichtet der Vereinsvorsitzende Alexander Puell. Ein Sprühverbot an der „beliebtesten Open Air Galerie Berlins“ sei aber keine Lösung.

Freunde des Mauerparks lehnen Graffiti-Verbot ab – und nennen eine Lösung

Mit dem Aufstellen von Sammelcontainern für Dosen direkt an der Graffitiwand gebe es bereits eine sinnvolle Maßnahme, die der Bezirk ergriffen hat. So lasse es sich vermeiden, dass leere Dosen im Park liegen bleiben oder in regulären Mülleimern landen - wo sie nicht hingehören. „Zweiter und sehr wichtiger Schritt wäre nun, die dicken Bündel an Farbresten, die sich auf dem Boden vor der Graffitimauer ablagern, einzusammeln“, schlägt Puell als Lösung vor. Man wolle das Pankower Grünflächenamt und die für den Mauerpark zuständige Landesgesellschaft Grün Berlin sensibilisieren, damit ab sofort auch lose Farbschichten schneller entfernt und fachgerecht entsorgen werden - wie die leeren Dosen.

Für die Forschungsarbeit der Freien Universität gibt es vom Parkverein lobende Worte. Mikroplastik und Feinstaub seien ein „bisher grob unterschätztes Problem, und es ist immer wieder überraschend, wo das überall auftritt“. Auch die Kunstrasenplätze im benachbarten Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark stehen deshalb unter Beobachtung.

Bezirksamt Pankow stuft Graffitiwand als Denkmal ein

Bei der Graffitwand im Mauerpark handelt es sich um ein Unikat in mehrfacher Hinsicht. Als Teil der früheren Hinterlandmauer, die zu Zeiten der Berliner Teilung den Ostbezirk Prenzlauer Berg von Gesundbrunnen im Berliner Westen trennte, steht das Bauwerk zwar unter Denkmalschutz. Mit Tolerierung des Bezirksamts Pankow dürfen Sprayer die Wand allerdings ganz legal als Schaufläche für Kunstwerke nutzen, die oftmals aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse aufgreifen. Fotos der Motive mit einem Gedenken an den getöteten George Floyd und der Will Smith-Ohrfeige bei der Oscar-Verleihung wurden auf der ganzen Welt in sozialen Netzwerken geteilt.

Dass sich das Erscheinungsbild durch immer neue Wandbilder ständig ändert, greift den Denkmalwert aus Sicht des Bezirks nicht an, wie die zuständigen Behörden 2018 entschieden. Wie bei allen legalen Graffiti-Flächen in Berlin stehen eigentlich Abfallbehälter zur Entsorgung der Sprühdosen bereit – doch gerade an Wochenende, wenn besonders viele Sprayer am Werk sind, reicht das Fassungsvermögen der Eimer nicht immer aus. Sorgen um den Verbleib der leeren Dosen gelten auch häufig als Erklärung dafür, dass Berliner Bezirke mit der Eröffnung weiterer legaler Graffitiflächen zögern.

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