Hauptstadtbrief

Dies ist kein normaler Lauf

| Lesedauer: 6 Minuten
Leah Hanraths

Mit CARE durch die Wüste – um Frauen und Mädchen eine Stimme zu geben, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut fliehen.

Mit jedem Schritt spüre ich den rauen Wind am Körper. Dies ist kein normaler Lauf, dies ist keine gewöhnliche Landschaft, und der Grund, weshalb meine Kollegen und ich hier sind, ist ein überaus wichtiger.

Unser Ziel ist aber nicht nur eine Ziellinie. Jeder Schritt, alle unsere gelaufenen Kilometer in der Wüste sind jenen Frauen gewidmet, die nicht jene Freiheiten genießen können, die uns zu Hause in Deutschland so selbstverständlich erscheinen. Besonders häufig werden Freiheiten und Rechte von Frauen eingeschränkt und sie so diskriminiert.

Ich bin Teil eines CARE-Teams beim „Dead2Red“-Marathon, der 242 Kilometer vom Toten zum Roten Meer führt. Das ist in etwa die Strecke von Berlin bis Rostock, und wir laufen Schritt für Schritt. Wir wollen mit unserer Teilnahme ein Zeichen setzen, wir wollen Frauen und Mädchen, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut fliehen, eine Stimme geben. Wir haben dazu einen ganzen Aktionsmonat gestartet, #March4Women.

24 Stunden, 242 Kilometer durch die heiße und trockene Wüstenlandschaft Jordaniens – natürlich kann ein normaler Mensch diese Distanz unmöglich alleine schaffen; deswegen sind wir ein Team: Engagierte Kolleginnen von CARE, Freunde, und sogar unser Chef, der Generalsekretär von CARE, Karl-Otto Zentel, läuft mit. Wir wechseln uns ab, uns begleitet ein kleiner Bus, in dem sich ausruhen kann, wer gerade nicht läuft. Gemeinsam nähern wir uns Stück für Stück dem Ziel.

Ich arbeite für die Hilfsorganisation CARE Deutschland. In Berlin kennt uns jeder durch die berühmten CARE-Pakete, die nach dem Zweiten Weltkrieg und während der Berliner Luftbrücke hunderttausende Menschen vor dem Hungertod bewahrten. Diese Botschaft der Menschlichkeit verbreitet CARE mit seinen Projekten bis heute und gibt all jenen, die an den Folgen von Gewalt, Krieg und Vertreibung leiden, neue Perspektiven.

Warum laufe ich? Es ist die persönliche Herausforderung, die mich reizt. Es ist zugleich die gelebte Gemeinschaft, die ich mit guten Freunden erfahre. Das ist gerade für so einen Lauf ziemlich wichtig. Zu wissen, dass man sich auf alle verlassen kann, dass wir zusammenhalten.

Vor allem aber motiviert meine Kollegen und mich, was wir bei CARE täglich lesen, hören und der Öffentlichkeit vermitteln: Noch nie zuvor war die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Gewalt, Verfolgung oder Armut fliehen, so hoch wie heute. Ganze 68,5 Millionen Menschen befanden sich 2018 auf der Flucht, rund die Hälfte davon sind Frauen und Mädchen.

Jordanien, wo wir uns gerade befinden und am Marathon teilnehmen, ist das Nachbarland von Syrien und hat viele Flüchtlinge aufgenommen. 670 000 sind es offiziell. Die jordanische Statistikbehörde geht sogar von 1,3 Millionen Syrern aus, die in Jordanien Zuflucht gesucht haben. Drei Viertel von ihnen sind Frauen und Mädchen. Sie alle haben die Gewalt des Krieges erlebt, haben große Mühen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und viele Mädchen können nicht zur Schule gehen. Im schlimmsten Fall werden sie früh – viel zu früh – verheiratet.

Mit dem Aktionsmonat #March4Women will CARE weltweit Menschen mobilisieren, um Frauen und Mädchen in ihrem Kampf für umfassende und gleiche Menschenrechte zu unterstützen. Um ihnen zu helfen, sammeln wir rund um den Wüstenmarathon Spenden. Bereits 2014 hat ein Team von CARE am „Dead2Red“-Lauf teilgenommen. Dabei sind mehr als 10 000 Euro zusammengekommen. Ich hoffe, dass unser diesjähriges Engagement ebenso erfolgreich wird. (Unterstützen kann man uns direkt unter bit.ly/Dead2Red)

Zu unserem Team gehören die unterschiedlichsten Menschen: eine Expertin für Ernährung, eine Projektmanagerin für unsere Arbeit in Asien, eine Kollegin, die Lehrern in Deutschland dabei hilft, Kinder mit Fluchtgeschichte zu unterstützen. Einige Freunde, die sich engagieren. Und natürlich unser Chef, der neben seinem vollen Tagesprogramm für CARE in den letzten Monaten genauso wie wir alle bei Wind und Wetter trainiert hat. Uns eint die Überzeugung, dass Frauen auf der Flucht mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient haben.

Besonders in Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Jemen oder Bangladesch benötigen Frauen besonderen Schutz: Sie müssen häufiger sexualisierte Gewalt erleben. Sie sterben bei der Geburt ihrer Kinder, weil medizinisches Fachpersonal in Flüchtlingscamps fehlt. Und sie werden bei Entscheidungen über ihr Schicksal ausgeschlossen, weil sie schon vor dem Konflikt nicht zur Schule gegangen sind.

Auch in der Arbeitswelt erfahren Frauen auf der Flucht weltweit Nachteile. So fehlt rund 70 Prozent der geflüchteten Frauen der Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt in ihrem Gastland. Zu selten haben Frauen außerdem eine Stimme bei Friedensverhandlungen und dann, wenn es um den Wiederaufbau ihrer Heimat geht. Dabei tragen sie die Hauptlast der Versorgung von Kindern, pflegebedürftigen Familienmitgliedern und bei der notwendigen Erneuerung des jeweiligen Landes.

Ziel von CARE ist es, die Stimmen von Frauen zu stärken und ihnen die effektive Beteiligung an all jenen Entscheidungen zu ermöglichen, die ihr Leben bestimmen. Im vergangenen Jahr versorgte CARE mehr als 2,7 Millionen Frauen in 59 Ländern mit Informationen und Werkzeugen, die ihnen dabei helfen, Ungleichheiten in Frage zu stellen sowie gleiche Rechte und Möglichkeiten einzufordern. CARE unterstützt zudem lokale Frauengruppen in Krisenregionen dabei, sich zu organisieren und ihre Rechte einzufordern, für alle und überall. Dafür stehen wir bei CARE mit all unseren Projekten, im Ausland wie auch in Deutschland.

Meine Beine werden auf der Strecke irgendwann schwer werden, doch ich kann laufen – stellvertretend für alle, die diese Freiheit nicht haben.