Berlin. Mehrere Tausend Menschen haben in Berlin gegen einen Neonazi-Aufmarsch protestiert - stoppen konnten sie diesen aber nicht. Begleitet von lauten Protestrufen sowie einigen Stein- und Flaschenwürfen marschierten weit mehr als 600 Rechtsextremisten einen Tag nach dem 31. Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß durch Friedrichshain bis zum S-Bahnhof Lichtenberg. Zuvor hatten sie ihren ursprünglich geplanten Aufmarsch in Spandau in der Nähe des früheren Kriegsverbrechergefängnisses abgesagt. Die Polizei verlegte daraufhin ihren Einsatzschwerpunkt in den Osten der Stadt.
Die Rechtsextremisten hatten zudem im Vorfeld offen gelassen, wo sie ihren Marsch tatsächlich planen. Neben dem üblichen Versammlungsort in Spandau hatten sie kurz vor dem Wochenende den zweiten in Friedrichshain angemeldet. Nachdem sich lediglich etwa 50 Menschen an der Schmidt-Knobelsdorf-Straße versammelt hatten, wurde der Aufmarsch dort am Mittag abgesagt - und die Rechtsextremisten zogen in den Osten der Stadt. Mehrere Hundert Gegendemonstranten folgten ihnen, darunter ein paar Dutzend schwarz gekleidete Linksautonome sowie Vermummte.
Stimmung an der Strecke des Neonazi-Aufzugs durch Friedrichshain war aggressiv
Insgesamt rund 2300 Polizisten auch aus anderen Bundesländern waren laut Behörde im Einsatz, um Neonazis und Gegendemonstranten voneinander fern zu halten und Gewaltausbrüche zu verhindern. Nach Angaben der Polizei wurden 45 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dabei gehe es um Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntag. 29 Menschen seien vorübergehend festgenommen worden. 6 Polizisten wurden laut Behörde verletzt.
Zudem überprüft der Staatsschutz, ob zwei Fahrzeugbrände in den Ortsteilen Rummelsburg und Fennpfuhl in Zusammenhang mit den Protesten stehen. Die örtliche und zeitliche Nähe zur Demonstrationsstrecke lege dies nahe, hieß es. Ein Auto und ein Lastwagen standen gegen 13.30 Uhr am Samstag in Flammen. An beiden sei erheblicher Schaden entstanden.
3000 Menschen am Fest der Demokratie
Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Initiativen hatten zu Kundgebungen und Demonstrationen gegen die jährliche Neonazi-Veranstaltung aufgerufen. Deren Schwerpunkt lag in Spandau. So beteiligten sich bis zu 3000 Menschen am Fest der Demokratie an der Kreuzung Wilhelmstraße, wo früher das Gefängnis stand, in dem sich Hitler-Stellvertreter Heß am 17. August 1987 selbst tötete. Weitere Demonstrationen und Kundgebungen gab es am Rathaus und am Bahnhof in Spandau.
"Kein Platz für Nazis" stand auf Luftballons, auf Transparenten "Schöner leben ohne Rudolf Hässlich" oder "Nein zur Hetze gegen Muslime". Ältere Damen hielten Transparente hoch mit der Aufschrift "Omas gegen Rechts" oder "Spandau bleibt nazifrei".
Bei einer Kundgebung des Bündnisses für ein weltoffenes und tolerantes Berlin gehörten der evangelische Bischof Markus Dröge sowie die Vorsitzende des Jüdischen Forums, Lala Süsskind, zu den Rednern. Beide wären froh, wenn ein Verbot des Neonazi-Aufmarsches rechtlich durchsetzbar wäre.
"Fast noch wichtiger ist es aber, dass wir von der Zivilgesellschaft zeigen: Wir stehen auf, wenn ideologisches, völkisches, rechtsextremistisches Denken wieder aufkommt", betonte Dröge. Toleranz und Vielfalt gehörten zu Berlin, betonte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. "Darum müssen wir umso stärker sein, müssen uns den "einfachen Alternativen" stellen und die Werte der Demokratie jeden Tag verteidigen – ob hier und heute oder morgen Abend am Stammtisch."
Bereits zuvor waren erneut Forderungen nach einem Verbot des Neonazi-Aufmarsches lautgeworden. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte mehrfach bedauert, dass die Veranstaltung wegen der gesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit nicht untersagt werden könne. Die Polizei hatte jedoch eine ganze Reihe von Bestimmungen für die Demonstration festgelegt. "Jede Verherrlichung von Rudolf Heß in Wort, Schrift oder Bild wird untersagt", hieß es im Auflagenbescheid. Laut Polizei gab es einige Fälle, in denen ein Verstoß gegen das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auffiel.
Im vergangenen Jahr - zum 30. Todestag von Heß - hatten Gegendemonstranten den Aufmarsch mit Sitzblockaden gestoppt. Auch am Samstag kam es in Friedrichshain zu solchen Protestaktionen. Polizisten lösten diese jedoch auf, indem sie die Menschen wegtrugen. "Unsere Kolleg. schützen jede Versammlung auch gegen Störungen, unabhängig von ihrem Thema. Das garantiert das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit", twitterte die Polizei dazu.